Stadt aus Sand (German Edition)
Bruders Augen funkelte es rötlich. »Ich habe die allererste gekauft, die angeboten wurde, die mickrigste von allen. Aber ich hatte Angst, dass ich keine andere ergattern könnte. Sie sind sehr teuer. So viel Geld habe ich einfach nicht! Aber wenn ich es hätte, dann glaub mir … dann wäre ich jetzt noch dort auf dem Platz und würde mir die besten sichern!«
Rokia schluckte verschreckt. Baawas Rufe und das Läuten der Glöckchen drangen inzwischen nurmehr dumpf an ihr Ohr: »Tau zsch end! Tau zsch endeinhundert! Tau zsch end zsch weihundert!«
»Aber wenn er selbst kein unglaublich mächtiger Zauberer ist, woher bekommt er sie dann?«, flüsterte sie.
Das Glöckchen läutete dreimal und zeigte an, dass damit die vorletzte Ampulle verkauft worden war. »Tau zsch enddreihundert Geld zsch tücke für den Kostbaren!«
Guter Bruder wandte sich langsam der Treppe zu.
»Du stellst sehr viele Fragen, Mädchen. Und das an einem Ort, wo Fragen vor langer Zeit verboten wurden.«
»Antworten auch?«
»Siehst du diese Höhle, die von einem Tor verschlossen ist … dort drüben, gegenüber von dem Nashorn?«
»Ja.«
»Und siehst du die Glocke da oben? Wenn die läutet, bedeutet das, Baawa kommt bald. Manchmal läutet sie tagelang nicht. Wochenlang. Monatelang. Dann macht sich in der Stadt eine gewisse Anspannung breit. Aber sobald die Leute, die hinter den Kletterpflanzen wohnen, die Glocke hören, verbreitet sich die Nachricht ganz schnell in der Stadt. Alle, die von der Existenz dieses Treffpunkts wissen, kommen angelaufen und warten darauf, dass Baawa auftaucht. Und zwar durch dieses Tor. Er lebt unter der Erde wie ein Wurm. Und dort unter der Erde erhält er den Seelenabfall.«
Guter Bruder schwieg lange, während Baawa eine rötlich schimmernde Ampulle hochhob.
»Begreifst du allmählich, wer der Zauberer ist, der die Seelen fängt? Wer sie in die Ampullen sperrt, sie aussortiert und die schlechtesten in den Abfall wirft, wo dieser Wurm sie dann aufsammelt?«
Rokia begriff.
Guter Bruders Blick verlor sich in der Ferne. »Er speist uns mit Brosamen ab. Und wie Hunde drängen wir in die Höfe seines Palastes und betteln um mehr.«
Und dann sagte er: »Das dort drüben ist nun die beste Seele des Tages.«
»Ab zsch olut unvergleichlich!«, deklamierte Baawa und hielt eine rote Ampulle über seinen Kopf. »Höch zsch tens zsch wan zsch ig. Ein Mann, ein Fremder, wahr zsch einlich ein Targhi aus der Wü zsch te. Ein großer Tablier …«
Ein Paar im Publikum schrie auf. »Das ist unser Sohn!«
»Minde zsch tgebot zsch weitau zsch end!«, fuhr Baawa ungerührt fort.
Die Eltern hoben beide die Hand, um die Äffchen zu rufen, aber andere steigerten auch mit um die Ampulle. Bei jedem neuen Gebot stöhnte die Mutter auf und klammerte sich verzweifelt an ihren Mann. Er hob dann die Hand und rief die Äffchen wieder zu sich. Der Preis stieg in schwindelerregende Höhen, bis auf zehntausend Geldstücke.
Die Entschlossenheit der beiden brachte jeden anderen Bieter zum Schweigen.
Als Rokia zu ihnen hinüberblickte, zerriss es ihr fast das Herz, denn diese beiden taten genau dasselbe, was sie für ihren Großvater tun wollte. »Sie wollen ihn nur nach Hause bringen«, sagte sie leise.
Dann bimmelte das Glöckchen der Äffchen zum ersten Mal auf der Schulter des Mannes.
»Die anderen sollten sie nicht daran hindern!«
Das Glöckchen bimmelte ein zweites Mal.
Guter Bruder erklärte: »Das war die beste Seele, die ich je bei Baawa gesehen habe. Normalerweise … behält er die für sich.«
»Und welches sind die besten Seelen?«, fragte Rokia.
»Ganz sicher nicht meine«, antwortete der einäugige Mann.
Ehe das Glöckchen ein drittes Mal bimmeln konnte, erhob sich eine durchscheinende Hand von der weißen Sänfte.
»Und bestimmt nicht seine …«, meinte Guter Bruder weiter.
Ein Schrei der Verzweiflung stieg zum Himmel auf. Die Eltern konnten nicht mehr mitbieten, und die Hand aus der Sänfte erhielt den Zuschlag für die rote Ampulle. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann war sie ausgetrunken, eine Hand warf sie auf den Boden, wo sie in viele Scherben zerbrach, und wies dann die Träger an zu gehen, während die beiden Alten sich umklammert hielten und leise weinten.
Ayad war richtig wütend.
Nicht auf Rokia, und nicht auf Raogo, der sie nicht am Weglaufen gehindert hatte. Und auch nicht auf Kabir wegen des Geschäfts, das ihm durch die Lappen gegangen war. Er war vor allem wütend auf sich
Weitere Kostenlose Bücher