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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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von jemandem, der sehr unter etwas leidet. »Sicher, merkwürdiges Mädchen. Sicher, du bist wegen der Seele deines Großvaters gekommen. Aber ich weiß ja gar nicht, wer dein Großvater ist, und glaub mir, ich will es auch gar nicht wissen.«
    Mit seinen gelben Augen und den dünngliedrigen, spitzen Fingern ragte er über ihr auf wie eine Riesenspinne. »Alles, was ich von dir wissen will, ist …«
    Als er sich zu Rokia hinunterbeugte, knackten seine alten Gelenke. Er streckte seine gekrümmte Hand vor, bis er ihre Nasenspitze berührte. »… welchem Tier du wohl ähnelst? Einer Schlange? Nein … dazu sind deine Augen zu groß. Einem Löwen? Nein, auch nicht, dein Körper ist zu zierlich. Welchem Tier also dann? Hilf mir doch auf die Sprünge …«
    »Die Leute sagen, dass du Tiere magst«, flüsterte Rokia. »Und ich habe gedacht, wer Tiere mag, der kann nicht ganz böse sein …«
    »Du solltest immer auf das hören, was die Leute sagen«, entgegnete ihr der Fürst der Stadt aus Sand. »Du solltest immer auf sie hören.«
    Seine Hand wanderte langsam nach oben, bis sie Rokias Haare berührte.
    »Denn es stimmt, ich mag Tiere. Die Leute lügen nie.«
    Seine Nägel glitten über Rokias Schläfen, dann über ihre Stirn.
    »Selbst wenn ich nicht weiß, wie du hierhergekommen bist … merkwürdiges Mädchen … und ich mir nicht deine Seele nehmen kann … so möchte ich doch nicht auf dich verzichten. Ich kann dich zusammen mit den anderen ein paar Jahre hierbehalten, bis du alt genug bist. Aber dafür musst du auf meine Frage antworten: Also, welchem Tier ähnelst du?«
    »Gib mir die Seele meines Großvaters zurück, bitte.«
    Doch der Fürst hörte ihr nicht zu, da er zu sehr in seine eigenen Gedanken versunken war. Seine bemalten Fingernägel ertasteten Rokias große Ohren. »Ich glaube, dass deine Ohren für dich antworten! Siehst du?«, fuhr er fort. »Vielleicht bist du deshalb zu mir gekommen.«
    »Ich bin gekommen, weil ich dich um …«
    Der Fürst breitete unvermittelt seine Arme aus und zischte dazu ein merkwürdiges Wort, das Rokia wie ein kalter Windhauch traf. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten.
    Dann wich sie einen Schritt zurück.
    Ich kann dich zusammen mit den anderen ein paar Jahre hierbehalten.
    Welchen anderen?
    Bis du alt genug bist.
    Alt genug wofür?
    Ich kann deine Seele nicht nehmen.
    Rokias Herz klopfte auf einmal viel schneller. Und ihre Haut kribbelte.
    Sie hob ihre Hände hoch. Und betrachtete sie.
    Ein heller Flaum legte sich allmählich darüber.
    »Nein!«, schrie sie. »Was machst du mit mir? Ich will das nicht!«
    Und während sie das sagte, sah sie wieder all die anderen Tiere vor sich, die in den Käfigen gefangen waren.
    Sah die Resignation in ihren Augen.
    Menschenaugen.

    »O nein«, flüsterte Rokia. Sie rieb die Hände gegeneinander und versuchte, den Flaum abzustreifen, der immer dichter und länger wurde. Dann strich sie sich über die Wangen und entdeckte, dass auch diese pelzig wurden. »Nein! Das ist doch nicht möglich … Ich will nicht!«
    Das Fell wuchs an ihren Armen hoch bis zu den Ellenbogen. Rokias Fingernägel krümmten sich, und zwischen ihren Fingern bildeten sich dünne Häutchen. Die Nase des Mädchens wurde immer spitzer.
    Der Fürst verwandelte sie in einen kleinen Wüstenfuchs.
    »Großvater!«, schrie Rokia auf. Ihre eine Hand ging sofort zu dem Gris-gris an ihrem Hals und umklammerte die beiden Bernsteinstücke. »Ich will nicht! Ich will nicht! Hör auf, Sanagò!«
    Als der Fürst der Stadt aus Sand diesen Namen hörte, zuckte er zusammen und unterbrach ganz kurz seinen Zauber. Rokias Seele gewann wieder an Kraft. Das Mädchen konnte einen Schritt zurückweichen, und mit dieser einfachen Bewegung glitt sie aus dem Wirbel, der sie gefangen gehalten hatte. Sie fiel auf die Teppiche. Dann krabbelte sie auf allen vieren zur Tür. Schließlich gelang es ihr, aufzustehen und fortzulaufen.
    »Ich bin wegen meines Großvaters gekommen!«, schrie sie und rannte aus dem Zimmer.
    Der Fürst Sanagò ließ vor Überraschung unvermittelt die Schultern sinken.
    Ein Schauder überlief seinen Körper.
    Der erste Schauder seit langer, seit sehr langer Zeit.
    »Wachen!«, schrie er und durchbrach damit die Stille, die über dem Palast lag. »Wachen!«

    Die Decke der Höhle war mit Zeichnungen bedeckt.
    Stilisierte Figuren von Männern und Tieren, die einander in großen Kreisen verfolgten. Höhlenmalereien in Schwarz, Weiß und Rot, die in

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