Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
Vom Netzwerk:
mir leid, dass ich so grob zu Ihnen war, Flora. Da sind wohl meine Gefühle mit mir durchgegangen. Ich hätte mich Ihnen gegenüber niemals so ungebührlich verhalten dürfen. Aber diese Sache ist nun einmal sehr wichtig für mich.« Er griff nach meiner Hand und drückte sie kurz. »Wir sollten uns jetzt beruhigen. Die Aufführung fängt gleich an und sie ist wirklich gut.«
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Zuerst will ich die Wahrheit wissen. Warum sind wir hier? Was wollen Sie von mir?«
    Der Kanzler seufzte. »Ist das denn nicht offensichtlich? Es interessiert mich natürlich brennend, was Mafalda Ihnen verraten hat.«
    Ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, entrang sich ein Lachen meiner Kehle, trocken und bitter. »Sie hat mir nichts verraten. Rein gar nichts.«
    Der Kanzler nickte. »Sehen Sie, genau das dachte ich mir. Mafalda ist zu gerissen, um Ihnen offenkundig zu helfen. Sie weiß, dass ich Sie beschatten lasse. Sie kennt mich und sie ist clever, so war sie schon früher. Sie müssen wissen, vor vielen Jahren waren Mafalda und ich … wir waren sehr eng … befreundet und … aber das ist lange her.«
    Zuerst dachte ich, ich hätte mich verhört. Aber so, wie er es betont hatte … Die Schwester des Großmeisters und der Eiserne Kanzler ein Liebespaar? Andererseits war Mafalda nicht immer alt und sicher auch nicht so unglaublich fett gewesen, sie galt immerhin als ehemals beste Kämpferin des Bundes. Und dem Kanzler sah man sein wahres Alter nur an den Augen an.
    »Also …«, stammelte ich. »Sie wissen, dass ich nicht mehr weiß als bei unserer letzten Begegnung und … wollen einfach mit mir die Vorstellung sehen?« So recht glauben mochte ich das noch immer nicht. Nein, der Kanzler führte etwas im Schilde, ganz bestimmt sogar. Oder?
    Schon wieder tätschelte er meine Hand. »Korrekt«, sagte er. »Ganz genau so ist es. Ah, sehen Sie nur: Es geht los.«
    Mit einem ohrenbetäubenden Tusch öffnete sich der Vorhang und gab den Blick auf eine Welt aus Pappmaschee, Tüll und Straußenfedern frei. Ich war im Grunde noch nie ein Fan von Zirkusnummern gewesen. Vor allem Zauberer gingen mir meist mächtig auf die Nerven. Doch diese Show hatte wirklich etwas Magisches an sich, das selbst mich in seinen Bann zog. Es begann mit einem Fakir, der sich die Brust mit einem Schwert durchbohrte. Dann folgte eine Chansonsängerin, ein Tanzensemble, bei dem ich mich sofort für die nächsten zehn Jahre verpflichtet hätte, ein Jongleur, ein Clown, ein Schlangenbeschwörer und eine Akrobatentruppe.
    »Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, machen Sie sich bereit für den Höhepunkt des heutigen Abends. Machen Sie sich bereit für den einzigartigen Illusionisten, den großen Sir Gil Bardell, und seine bezaubernde Assistentin Miss Rufina Parson!«, verkündete schließlich der Moderator, der einen gezwirbelten Schnauzbart trug. Er erntete tosenden Beifall.
    Sir Gil Bardell war ein kleiner Mann mit knochigen Schultern und Fistelstimme. Er betrat die Bühne, indem er zuerst vorsichtig um die Ecke eines Kulissenteils lugte und dann mit zitternden Schritten ins Rampenlicht trat, wo ihn seine Assistentin, eine blonde Schönheit in einem bis zur Hüfte geschlitzten Kleid, bereits erwartete. Sein erster Trick (er zersägte Miss Rufina Parson und fügte sie wieder zusammen) entlockte den meisten Zuschauern nur ein müdes Gähnen. Doch je länger sich Sir Gil Bardell im Zentrum der Aufmerksamkeit befand, umso mehr veränderte er sich. Seine Bewegungen wurden ruhiger, seine Schultern strafften sich, sodass er plötzlich größer wirkte, und in seine Augen trat ein Funkeln, das auch den Letzten im Saal in seinen Bann zog. Und dann begann das Unglaubliche.
    Aus einer Tasche seines Umhangs zog er eine mit einer schwarzen Flüssigkeit gefüllte Phiole hervor, schraubte den Deckel ab und warf ein brennendes Streichholz hinein. Vermutlich handelte es sich um Dunkle Materie, denn der Rauch, der dem daumenlangen Gefäß daraufhin entstieg, war dunkler und irgendwie zähflüssiger als normaler Rauch. Als gummiartige Wolke sammelte er sich über der Bühne und Sir Gil Bardell begann, mit bloßen Händen Tiere und Menschen aus der bauschigen Masse zu formen, die sich tatsächlich so bewegten wie ihre lebendigen Vorbilder und teilweise sprechen konnten. Das Publikum war vor Begeisterung kaum noch zu halten. Sir Gil Bardell hatte Mühe, die Bravorufe zu übertönen, als er für seinen finalen Trick um Ruhe

Weitere Kostenlose Bücher