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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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nicht, mich ihm zu entziehen. Meine Freunde brauchten meine Hilfe. Sie warteten auf mich und das war alles, was im Augenblick von Bedeutung war.
    Meine Füße flogen über das Kopfsteinpflaster, gerade überquerten wir den Kennedyplatz und ich erinnerte mich daran, wie ich vor zwei Wochen hier gewesen war. Mit Wiebke. Wiebke, die mich zu all diesen verrückten Klamotten hatte überreden wollen. Meine Güte, hoffentlich ging es ihr gut!
    Ich biss mir so heftig auf die Lippe, dass sie zu bluten begann, als schließlich der silber-runde Bau des Einkaufszentrums Limbecker Platz vor uns in Sicht kam. Wie ein gigantisches Ufo aus einer anderen Dimension hockte er am Ende der Straße, ein Fremdkörper aus Glas und Stahl zwischen den deutlich älteren Gebäuden der Innenstadt. Er war erst vor einigen Jahren in Windeseile aus dem Boden gestampft worden, ein Milliardenprojekt, das nun unzählige Geschäfte beherbergte. Wir hatten es also beinahe geschafft.
    Ich zückte mein Handy und wählte Linus’ Nummer.
    Das Freizeichen ertönte.
    Noch einmal.
    Ein drittes Mal.
    Dann ging Linus dran. »Flora?«, flüsterte er.
    »Wir sind gleich da«, keuchte ich, erleichtert, seine Stimme zu hören. »Wo seid ihr? Geht es euch gut?«
    »Alles in Ordnung. Wir hocken im Tiefgeschoss, wo es zu den U-Bahnen geht. In einem verdammt engen Winkel hinter einer von den Rolltreppen.«
    »Alles klar. Gebt uns noch zwei Minuten«, sagte ich und wollte schon auflegen, als Linus noch etwas einfiel.
    »Wen meinst du eigentlich mit ›uns‹?«, fragte er.
    »Na, Marian und mich.«
    »Ah.« Im Hörer ertönte ein Schnauben. »Na dann, bis gleich also.«
    Wir fanden die beiden an der beschriebenen Stelle. Während Linus sich betont lässig an die Wand lehnte, hockte Wiebke neben ihm, als habe sie einen Geist gesehen. Ihr ganzer Körper zitterte, das Haar klebte ihr schweißnass in der Stirn, ihre Augen waren schreckgeweitet.
    Mit einem Satz war ich bei ihr und schloss sie in die Arme. Schluchzend vergrub sie das Gesicht an meiner Schulter. »Es … es war so schrecklich, Flora«, murmelte sie in meine Jacke. »Sie waren riesig und sie haben uns verfolgt. Wie in einem Horrorfilm!«
    »Ich weiß«, sagte ich und strich ihr über das Haar. »Aber jetzt sind wir ja da.«
    »Wo habt ihr sie zuletzt gesehen?«, fragte Marian, der uns den Rücken zuwandte und fachmännisch Ausschau hielt.
    »Im Grunde waren sie direkt hinter uns. Aber als wir diese Linie überquerten«, Linus deutete auf die Stelle, wo der Schatten der Rolltreppe begann, »da haben sie plötzlich abgedreht. Es waren drei riesige Pferde mit schwarzen Flügeln, glaube ich. Verrückt, oder?« Die Heiserkeit in seiner Stimme verriet, dass er die Sache lange nicht so cool wegsteckte, wie er vorgab.
    Marian wiegte den Kopf hin und her. Noch einmal ließ er den Blick über die angrenzenden Geschäfte schweifen, doch von den Schattenpferden fehlte jede Spur. Langsam drehte Marian sich schließlich zu uns um und sah erst Linus, dann der immer noch schniefenden Wiebke tief in die Augen.
    »Seltsam«, murmelte er. »Ihr beide seid Schlafende, daran besteht kein Zweifel. Und trotzdem habt ihr geflügelte Pferde aus Schatten gesehen?«
    Die Zwillinge nickten. »Außer uns hat aber anscheinend niemand die Dinger wahrgenommen. Die Leute haben einfach weiter eingekauft. Was soll das heißen, wir wären Schlafende?«, sagte Wiebke.
    Marian machte eine unwirsche Handbewegung. »Nichts Wichtiges. Aber das alles ist wirklich merkwürdig«, sagte er und betrachtete mich einen Augenblick lang mit der undurchdringlichen Miene des Kämpfers, bevor er eine Entscheidung traf: »Vielleicht sind sie hier noch irgendwo. Ich werde mich umsehen, ob die Luft rein ist. Und du, Flora, bleibst solange hier bei den beiden. Haltet euch weiter im Schatten und wartet auf mich. Für den Fall der Fälle hast du ja sicher deine Wunderwaffe dabei, oder?«
    In meiner Hosentasche schlossen sich meine Finger um das kühle Metall. »Natürlich«, sagte ich, doch Marian war bereits davongeeilt.
    »Ganz schön großkotzig heute, dein Freund«, sagte Linus und ließ sich neben uns auf den glänzend gefliesten Boden fallen.
    Ich zuckte mit den Achseln, während Wiebke ein Taschentuch aus ihrer Handtasche hervorkramte und sich geräuschvoll die Nase putzte. Noch immer hielt ich sie im Arm.
    »Kannst du auch mal an was anderes denken als an deine Eifersucht, Linus?«, schnaubte sie und richtete sich auf. »Viel wichtiger ist doch, was es mit

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