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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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plötzlich einem anderen Marian gegenüber. Einem Marian, der es nicht nötig hatte, sich zu entschuldigen. Einem Marian, dessen Blick so kalt geworden war, dass ich erschauderte.
    »Na schön«, sagte er leise. Doch seine Wut ließ die Luft zwischen uns erzittern. »Wie du willst.« Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum und kurz darauf knallte nebenan eine Tür ins Schloss.
    »Was hat er denn?«, fragte mein Vater, als ich das Wohnzimmer betrat. Er hatte es sich in seinem Sessel bequem gemacht und las in einem Bildband über Korallenriffe und ihre Bewohner.
    »Keine Ahnung«, log ich und spürte, wie im selben Moment eine Idee in mir aufstieg. »Kann … äh, kann ich mal kurz mit dir reden?«
    Mein Vater sah von seinem Buch auf und runzelte die Stirn. »Natürlich, das kannst du doch immer, mein Schatz. Worum geht es denn?«
    Ich dachte an Marian im Arbeitszimmer und ergriff die Hand meines Vaters. »Könntest du kurz, äh, mitkommen?«, fragte ich, während ich ihn aus seinem Sessel und hinter mir her zog.
    Mein Vater folgte mir brav durch die Diele und nach einem winzigen Moment des Zögerns ins Bad (in der Küche saß Christabel und strickte an einem Überzug für ihr neues Samuraischwert). Rasch verriegelte ich die Tür.
    »Also gut«, flüsterte ich und lehnte mich gegen die Handtuchstange. »Ich habe eine Frage zu Eisenheim.«
    Mein Vater saß auf dem Wannenrand und wirkte verwirrt. »Und die kannst du mir nur hier drinnen stellen? Im Badezimmer?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das nicht, aber ich möchte nicht, dass Christabel oder Marian etwas davon mitbekommen, weil, äh, weil mir das irgendwie peinlich wäre. Ich meine, ich weiß noch so wenig über die Schattenwelt, das muss ich ja nicht jedem auf die Nase binden.«
    »Verstehe«, sagte mein Vater, klang dabei allerdings wenig überzeugt.
    »Es geht um die ganzen Bauwerke in Eisenheim«, begann ich. »Die sind ja die gleichen wie in der realen Welt, richtig?«
    Mein Vater nickte.
    »Zum Beispiel habe ich den Eiffelturm gesehen und die Oper von Sydney und Notre-Dame und den Kreml. Und natürlich den Buckingham-Palast. Aber … irgendwie sind die Gebäude ja doch auch anders, oder?«
    Wieder nickte mein Vater, und als ich nicht weitersprach, räusperte er sich. »Ehrlich gesagt verstehe ich nicht so ganz, worauf du hinauswillst.«
    »Na ja, der Palast sieht doch von innen ganz anders aus als der echte Buckingham-Palast. Und in Notre-Dame residiert der Graue Bund. Da habe ich mich gefragt, ob das bei allen Bauwerken so ist, dass sie anders als in der realen Welt sind. Ich habe mir überlegt, was zum Beispiel in … äh, den Pyramiden von Giseh untergebracht sein könnte.« Ich biss mir auf die Lippe.
    Mein Vater wischte gedankenverloren einen Tropfen Wasser vom Duschvorhang. »Oh, ach. so«, sagte er. »Grundsätzlich nutzen wir die meisten Gebäude schon sinnvoll. Das ist ja auch logisch, wo sie schon mal da sind, nicht wahr? Aber die Pyramiden beispielsweise stehen im Augenblick leider leer.«
    »Ach?«
    »Bis vor ein paar Jahren waren sie Sitz der Materienbörse. Aber seitdem diese während der Handelskrise zusammenbrach …«
    »Was für eine Krise war das?«, fragte ich.
    »Eine komplizierte. Wir hatten einen Energieengpass, weil die Minen vorübergehend zu wenig abwarfen. Es gab Probleme mit dem Nichts in einigen Stollen. Jedenfalls konnte nicht genug Dunkle Energie gewonnen werden und deshalb gingen viele Firmen bankrott.« Mein Vater lächelte. »Aber solche Details musst du doch nicht wissen, Flora. Niemand würde dich deswegen auslachen.«
    Ich tat so, als wäre ich erleichtert, hakte dann aber doch noch einmal nach. »Und diese Börse wurde dann dichtgemacht, ja?«
    »Ganz genau. Wir haben dort also einen riesigen Komplex aus mehreren mit Marmor ausgekleideten und mit Büros und Tresoren vollgestopften Pyramiden herumstehen. Eigentlich wäre es mal an der Zeit, die Dinger wieder für irgendwas zu nutzen.«
    »Ja«, sagte ich. »Man könnte dort wertvolle Sachen aufbewahren.«
     
    Es passierte gegen 16 Uhr. Mein Vater und Christabel waren zum Laden gefahren, um die Fische dort zu versorgen, und Marian hockte noch immer beleidigt im Arbeitszimmer. Ich selbst hatte es mir auf der Couch gemütlich gemacht und sah mir eine alte Folge Gilmore Girls im Fernsehen an. Ich kannte die Episode zwar schon beinahe auswendig, doch sie lenkte mich wenigstens davon ab, andauernd an die bevorstehende Nacht zu denken oder Wiebke anzurufen, die mich mit

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