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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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Gestank verkokelter Borsten in die Nase. Das Kreischen der Bestien war ohrenbetäubend. Während die erste Spinne bereits reglos und verkohlt am Boden lag, stach Marian der geblendeten in das geöffnete Maul. Schwarz glänzendes Blut schoss daraus hervor und landete klatschend auf der Wasseroberfläche.
    Doch ich hatte keine Zeit, mich lange zu ekeln. Schon stürzte sich die nächste Sirene auf mich. Wieder erhob ich den Stab, doch da griff Marian nach meinem Arm.
    »Nicht!«, rief er und verpasste der Riesenspinne einen Schlag auf die Augen. »Wenn wir es von der Brücke wegschaffen, können sie uns nicht folgen«, erklärte er und zog mich die Böschung entlang in Richtung Fußweg. Zwar unternahmen die übrig gebliebenen Monster noch einen Versuch, uns aufzuhalten, doch es gelang ihnen nicht. Denn ich hielt weiterhin den glühenden Stab in meiner Hand, und wann immer ich ihn bewegte, zuckten die Biester zurück.
    Rückwärts kletterten wir zurück auf den Weg. Marian hatte recht, die Spinnen kamen uns nicht hinterher. Auch nicht, als wir zwischen den Bäumen hindurch bis zu einer schmiedeeisernen Bank rannten, die erst neulich von einer Steeler Bürgervereinigung gespendet worden war. Erschöpft ließen wir uns darauffallen, während das Kreischen abebbte und schließlich ganz verstummte.
    Eine Weile war nur unser beider keuchender Atem zu hören. Es war Marian, der als Erstes die Sprache wiederfand.
    »Was ist das für ein Ding? Es stammt eindeutig aus der Schattenwelt. Für alle Schlafenden ist es unsichtbar, nur existent für unsere Augen.« Er deutete auf die Sichel, die ich noch immer so fest umklammerte, als hinge mein Leben davon ab. »Es ist nicht gut, Dinge von dort hierherzubringen, Flora.«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Ein Bettler hat es mir geschenkt, als ich das erste Mal in Eisenheim war. Er meinte, die Sichel würde mich beschützen, und das stimmt ja wohl auch.«
    Marian runzelte die Stirn. »So was wie das habe ich ehrlich gesagt noch nie gesehen.«
    »Ich auch nicht. Aber ich habe bis letzte Woche auch nichts von der Existenz von Schattenreitern oder Monsterspinnen geahnt.« Ich probierte ein vorsichtiges Lächeln, doch Marian starrte noch immer auf die Sichel.
    »Du solltest dieses Teil nicht benutzen.«
    »Warum denn nicht? Immerhin bin ich dadurch nicht vollkommen wehrlos«, sagte ich. Plötzlich war es mir unangenehm, wie Marian die Sichel ansah. Rasch schob ich sie zurück in meine Hosentasche. »Ist doch egal, wie es funktioniert. Der Sirene hat die Wirkung jedenfalls ganz und gar nicht gefallen.«
    Ich grinste, doch Marians Gesicht blieb ernst.
    »Du solltest vorsichtiger sein«, murmelte er. »Und wenn du lernen würdest, wie wir uns verteidigen, dann bräuchtest du so einen Quatsch wie dieses Ding erst gar nicht.«
    Ich wischte seine Worte mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite. Mir war gerade wirklich nicht danach zumute, über meine mangelnden Fortschritte beim Dämmerungstraining zu sprechen. »Irgendwann werde ich schon besser«, sagte ich, wenn auch ohne rechte Überzeugung. »Und so lange … Danke übrigens, dass du mich gerettet hast.«
    Jetzt lächelte Marian ebenfalls. »Ich hatte gleich so ein komisches Gefühl, als du aus dem Konferenzraum raus bist. Zu den Sirenen zu gehen, war lebensmüde, Flora. Zum Glück bin ich dir gefolgt. Verrate mir mal, was dich zu diesem Wahnsinn veranlasst hat.« Er hatte schon wieder diesen Kindermädchenton drauf, genau wie im Park vor Wiebkes Haus. »Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich ein paar Minuten später hier gewesen wäre.«
    Ich schnaubte. »Woher soll ich denn wissen, dass die Biester so gefährlich sind und mich gleich auffressen wollen?«
    Marian reagierte nicht. Stattdessen rollte er die Ärmel seines Longsleeves nach oben, auf dessen Brust ein zähnefletschender Eisbär vor gekreuzten Hockeyschlägern prangte (wie ich vorgestern Abend, als er stundenlang unseren Fernseher blockiert hatte, erfahren hatte, war Marian leidenschaftlicher Fan einer finnischen Eishockeymannschaft), und stützte den Kopf in die Hände. Auf der Innenseite seiner Arme schimmerten bläuliche Adern und der Blick, mit dem er mich streifte, traf mich im Innersten, so viel Sorge lag darin.
    »Wenn dir etwas passiert wäre, das hätte ich mir nie verziehen«, flüsterte er. »Warum hast du das nur gemacht? Was wolltest du bei den Sirenen? Und warum hast du mir nicht erzählt, was du vorhattest? Ich hätte dich warnen können.«
    »Nein, das

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