Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
Vom Netzwerk:
Das Pochen seines Herzens umfing mich, während Marian zärtlich in meine Unterlippe biss. Seine Hände wanderten über meinen Rücken, meine Taille und meine Hüften und schoben sich schließlich unter meinen Pullover.
    Hitze durchströmte mich, ich drängte mich weiter an ihn. Und als seine Fingerspitzen über meinen Rippenbogen strichen, keuchte ich auf. Auch Marians Atem ging schneller, und ohne dass ich so recht bemerkte, wie es geschah, saßen wir plötzlich nicht mehr auf der Bank, sondern lagen darauf und hielten einander eng umschlungen.
    Für einen unendlichen Augenblick wünschte ich mir, unser Kuss würde ewig andauern. Aber irgendwann riss uns das Gebell eines Dackels aus unserer Zweisamkeit. Nur widerwillig machte ich mich von Marian los, während das Herrchen des Vierbeiners, ein älterer Herr mit Gehstock, sich im Vorübergehen lautstark über die anstandslose Jugend von heute im Allgemeinen und Marian und mich im Besonderen aufregte.
    Doch ich bemerkte es kaum. Noch immer fühlte sich mein Körper an, als bestünde er aus Watte.
    Außer Atem, mit zerzaustem Haar und geröteten Lippen sah Marian mich an. Ich erkannte das Glück in seinem Blick und wusste, dass es auch in meinem lag, ebenso wie der Zweifel, der mich durchzuckte. War es richtig, Marian zu küssen? Ist es – ja!, schrie alles in mir und doch glaubte ich es nicht. Nein, diese Sache mit uns war viel zu verrückt. Etwas, was neuerdings für mein gesamtes Leben galt.
    »Was verheimlichst du mir?«, wisperte ich und widerstand dem Drang, meine Arme erneut um seinen Hals zu schlingen.
    Marian lächelte. »Ich liebe dich, Flora«, sagte er heiser. »Ich meine dich, die reale Flora, die ihrer Seele gar nicht so unähnlich ist. Das habe ich jetzt erkannt.«
    »Du bist auch nicht übel«, sagte ich.
    »Na dann.« Er grinste und wollte mich erneut an sich ziehen, aber ich ließ es nicht zu.
    »Trotzdem müssen wir einander vertrauen können«, sagte ich. »Du musst mir die Wahrheit sagen, Marian. Über alles.«
    »Das werde ich auch«, versprach er. »Wenn es so weit ist.«
    »Aber –« Ich wollte protestieren, doch Marians Lippen hinderten mich daran. Mit einem Ruck machte ich mich von ihm los. »Hey! Was soll das heißen, wenn es so weit ist?«
    Ein verschmitztes Funkeln lag in Marians Augen. Statt zu antworten, beugte er sich erneut vor. Seine Nase fuhr über meinen Mundwinkel.
    »Wir sollten das klären«, murmelte ich. »Wir … später …« Ich vergaß meine Bedenken, ehe ich den Satz zu Ende führen konnte. »Später«, wiederholte ich und küsste ihn.
     
    Als wir uns eine halbe Ewigkeit später endlich voneinander lösten, brauchte ich ein paar Minuten, um wieder zu Atem zu kommen. Weil ich nicht wusste, wo ich hinsehen sollte, starrte ich mit glühenden Wangen auf die Ruhr hinaus, während Marian ein paar Schritte davonschlenderte und nach seiner Jeansjacke angelte, die er vor unserem Kampf mit den Sirenen anscheinend an der Uferböschung hatte fallen lassen. Mittlerweile war sie gefährlich nahe ans Wasser herangerutscht. Vorsichtig zupfte er sie von einem mit Moos bewachsenen Stein und zog einen violetten Seidenschal aus einer der Innentaschen hervor. Das feine Gespinst war von meergrünen Glitzerfäden durchzogen und flatterte im Wind.
    »Der passt bestimmt gut zu deinen Augen«, krächzte ich mit noch immer belegter Stimme.
    Marian strich den Schal glatt und grinste. »Gut, denn meine kleine Schwester hat die gleichen.«
    Ich sah ihn an. »Du hast eine Schwester?«
    »Ja, Ylva, sie wird nächste Woche siebzehn.«
    »Ylva«, murmelte ich. »Ist sie auch –« Eine Wandernde?, wollte ich fragen, doch etwas an Marians Gesichtsausdruck ließ mich innehalten.
    »Sie lebt bei unseren Pflegeeltern in Finnland. Zeigst du mir, wo hier die Post ist? Dann kann ich ihr den Schal schicken.« Er streckte mir die Hand entgegen.
    »Klar«, sagte ich und ließ mich von ihm auf die Füße ziehen. Ehe ich mich versah, hatte er seinen Arm um meine Schultern gelegt. Es fühlte sich gut an. Wie ein verliebtes Pärchen trotteten wir am Flussufer entlang. Nein, halt. Wir waren ein verliebtes Pärchen. Oder?
    Meine Gedanken liefen im Kreis. Marians Duft umhüllte mich wie eine Wolke. Immer wieder schielte ich schräg nach oben in sein Gesicht, während wir die Straße überquerten und zwischen Rentnern und Müttern mit Kinderwagen durch die nahe gelegene Steeler Fußgängerzone spazierten. Marians bleiche Gestalt zog wie überall die Blicke auf sich,

Weitere Kostenlose Bücher