Stadt aus Trug und Schatten
Beine auf meiner Brust, die mich umwarfen und niederdrückten wie einen umgeknickten Grashalm. Es gelang mir gerade noch, mich so zur Seite zu rollen, dass ich nicht in die Ruhr stürzte, deren Strömungen an dieser Stelle tückisch sein konnten. Schon blitzten Fangzähne vor mir auf, etwas, von dem ich lieber nicht wissen wollte, was es war, traf mich am Kopf und alles versank in Dunkelheit. Das Kreischen der Sirenen verstummte.
Mein Geist hing in einem schwarzen Nichts, das weder die Schattenwelt war noch ein Traum. Ich schlief nicht und ich wachte nicht. Wie ein Schleier lag die Dunkelheit über mir und bedeckte mein Gesicht. Es war ein friedliches Gefühl, nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu fühlen. Als befände sich mein Verstand in einer Wolke aus pechschwarzer Watte. Eine Weile verharrte ich zwischen den Welten. Dann, vielleicht waren nur wenige Sekunden vergangen, vielleicht waren es Stunden gewesen, schälte sich mit einem Mal etwas aus der Finsternis. Es war eine Erinnerung.
Ich befand mich in einem Gang aus grob behauenem Stein. Fackelschein tanzte über die Wände und etwas lag in meiner Hand. Es war schwer und kalt und hart. Mächtig. Ich konnte ihn nicht sehen, doch ich fühlte ihn. Als wäre er ein Teil von mir, lag der Weiße Löwe in meiner Faust.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich rannte. Mit aller Kraft umklammerte ich den Stein, während meine Füße über den lehmigen Boden flogen.
Ich war außer Atem. Schweißperlen rannen mir über die Stirn und ich hatte Seitenstechen. Mein Herz schlug so schnell, als würde es jeden Augenblick platzen. Doch ich durfte nicht anhalten, sie waren noch immer hinter mir. Sie verfolgten mich, um ihn zurückzuholen. Der Weiße Löwe pulsierte in meiner Hand. Ich drückte ihn an meine Brust, während die Schritte hinter mir lauter wurden. Gleich hatte ich es geschafft, nur noch ein Stückchen. Schon war das Ende des Ganges in Sicht. Ich biss die Zähne zusammen, beschleunigte noch einmal und - Da trat jemand aus dem Schatten einer Nische und versperrte mir den Weg. Es war ein Junge, groß und bleich und blond. Marian, dessen gläserner Blick mich durchbohrte. »Gib ihn mir« , sagte er.
Der schrille Schrei einer Sirene riss meine Erinnerung in Fetzen.
Ich schlug die Augen auf und erkannte im ersten Moment nichts als Beine. Lange, haarige Spinnenbeine. Direkt über mir knirschte ein Kiefer, Geifer tropfte neben mir ins Gras. Ich rutschte noch ein Stück zurück und spürte, wie meine Hände bereits ins Wasser tauchten.
So eine Scheiße! Ich saß in der Falle.
Auch die Sirene schien das erkannt zu haben. Mit einem triumphierenden Quieken holte sie aus, dann hieb sie mit ihren Fangzähnen nach mir oder besser gesagt der Stelle, an der sie mein Herz vermutete.
Ich wollte zurückweichen, hilflos in der Ruhr zu treiben, war schließlich immer noch besser, als aufgespießt zu werden. Doch ich war zu langsam, es gelang mir nicht, die Böschung hinabzugleiten. Schon drang der Zahn durch den Stoff meiner Jacke und ritzte meine Haut auf. Ich schrie. Unfähig, mich zu bewegen, wartete ich darauf, dass sich die Kiefer in mein Fleisch bohrten.
Da tauchte zwischen den Beinen der Riesenspinne ein blonder Schopf auf. Mit einem Brüllen sprang Marian unter dem Monster hervor. In den Händen hielt er einen langen Stock, mit dem er von unten nach dem Körper der Sirene stach. Zwar traf er nicht, doch die Spinne hob den Kopf und tänzelte ein Stück zur Seite, was mir die Gelegenheit gab, wieder auf die Beine zu kommen.
Instinktiv griff ich nach der Sichel in meiner Hosentasche. Kaum hatten meine Finger das Metall umschlossen, breitete sich das gleiche glühende Kribbeln in mir aus wie schon bei meiner Begegnung mit dem Schattenreiter. Zuerst spürte ich es nur in den Handgelenken, dann kroch es meine Arme hinauf über meine Schultern bis zu der Stelle hinter meinen Ohren.
Neben mir wirbelte Marian durch die Luft, traf die Sirene mit einem Tritt am Kopf und rammte gleich danach seinen Stock in eines der milchigen Augen. Weißliche Flüssigkeit spritzte durch die Luft. Die Spinne schrie so laut auf, dass ich fürchtete, mein Trommelfell würde platzen. Auch die anderen Sirenen, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatten, griffen nun an.
Ohne zu zögern, richtete ich meine Waffe auf ein besonders fettes Exemplar und wurde im selben Moment von der gleißenden Helligkeit geblendet, die daraus hervorbrach und das Monster in Brand setzte. Beißend stieg mir der
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