Stadt der blauen Paläste
Tür, brachte den leeren Eimer nach hinten zu der Gartentür und beschloss, sich irgendwann bei diesen neuen Nachbarn für die ungewollte Dachreparatur zu bedanken. Er konnte also Maurer sein, Dachdecker oder Kaminbauer, überlegte sie, als sie spätabends endlich im Bett lag und sich den Mann nochmals ins Gedächtnis rief, den sie bei ihrem letzten Besuch bei der limonaia getroffen hatte, aber irgendwie wirkte er wie niemand, der diesen drei Berufsgruppen zugehörte. Wobei sie sich sofort fragte, wie er denn dann wirkte. Bevor sie zu einer Entscheidung kommen konnte, war sie eingeschlafen. Aber noch im Schlaf verfolgten sie die schrillen und nachgeplapperten Worte des Papageis, der offenbar wieder aufgetaucht war: »Va a casa ! Va a casa ! Va a casa !«
Der Morgen, auf den sie sich gefreut hatte, weil sie in Ruhe ihre Korrekturen lesen wollte, verlief anders, als sie es erwartet hatte.
Sie hatte kaum ihr Nachtgewand abgelegt, als sie der Schrei eines Pfaus und ein heftiges Klopfen an der Tür erneut aufschreckte.
»Er ist nicht hier, Euer Mirandolin, oder wie er heißt«, sagte sie verärgert, während sie die Tür öffnete und dabei ihren Morgenmantel zu schließen versuchte, da sie dachte, die schwarze Dienerin stünde wieder vor ihr.
»Ihr müsst allmählich annehmen, dass wir eine mehr als lästige Familie sind«, sagte die Frau, die ihr gegenüberstand und den Kleidern nach vermutlich die Herrin war, »aber eigentlich sind wir das ganz gewiss nicht. Und schon gar nicht stöbern wir um diese Zeit friedliebende Menschen aus dem Schlaf auf. Aber es geht diesmal weder um diesen Papagei noch um den Pfau oder die bellenden Hunde, die sich mein Mann für die Jagd hält. Das Schreckliche ist diesmal, dass er nicht nach Hause gekommen ist.«
»Wer?«, fragte sie und bemühte sich um einen ruhigen Ton.
»Mein Mann«, sagte die Frau mit einer Stimme, die nahe dem Weinen war.
»Und Ihr vermutet ihn hier bei mir«, sagte sie stirnrunzelnd und öffnete die Tür, sodass der Raum übersichtlich vor ihr lag.
Die Frau zuckte zusammen und schüttelte irritiert den Kopf.
»Um Himmels willen, nein, es ist nur –«
»Habt Ihr nicht Eure Dienerschaft, die Ihr ausschicken könnt, um Euren Mann zu suchen?«, unterbrach Crestina sie.
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Nein. Sie sind heute Morgen alle, der Kugler, die Dienerin, samt Hunden und Papagei, in der Frühe aufgebrochen und zurückgefahren in die Stadt. Ich bin, nun ich bin allein im Haus. Und ich bin nicht gewohnt, allein zu sein. So weit hier draußen. Und irgendwo höre ich dauernd Geräusche.«
»Was für Geräusche?«
»Das weiß ich eben nicht. Ich bin neu hier. Ein neues Land, eine neue Stadt, neue Diener, neue Kinder außer meinen eigenen. Und plötzlich Hunde, Papageien. In der Stadt haben wir noch einen Affen in einem Käfig im Garten, mit dem ich schon gleich gar nichts anzufangen weiß. Alles neu, alles anders. Bis auf den Kugler, der zu uns gehört, aber sich bei der Erziehung der Kinder als völlig unfähig erweist.«
»Mögt Ihr nicht hereinkommen?«, schlug Crestina höflich vor.
»Nein, nein«, wehrte die Frau ab, »ich habe ja nicht einmal die Haustüre abgeschlossen und man weiß ja nie«, sagte sie dann zögernd und schaute über die Wiese. »Ständig Leute, die hier herumfragen.«
»Leute, die herumfragen?«, fragte Crestina irritiert und ging neben der Frau her in Richtung der Villa. »Wer macht das denn?«
»Nun, ich verstehe sie ja nicht, diese Leute. Ich spreche Eure Sprache bis jetzt nur ganz schlecht, und der Kugler hat gesagt, dass er italienisch kann, aber ich habe den Eindruck, dass er nicht einmal die Dienerin versteht. Der Einzige, der die Sprache kann, ist mein Mann, und der ist nicht da.«
»Ich möchte mich im Übrigen bedanken«, sagte Crestina und blieb vor dem Haus stehen.
»Bedanken? Wofür?«
»Nun, dafür, dass Eure Familie meine zerstörte Dachplatte hat reparieren lassen.«
Die Frau sah sie verblüfft an. »Eine zerstörte Dachplatte? Davon weiß ich nichts. Ich weiß auch nicht, wer das gemacht hat, ich habe mit den Handwerkern nichts zu tun, darum kümmert sich mein Mann. Er hatte den Kaminbauer bestellt, den Dachdecker und den Maurer. Ihr wisst ja nun, dass nur er Italienisch kann. Er braucht es, für seinen Beruf«, fügte sie dann zögernd hinzu.
Crestina blickte sie abwartend an.
»Es ist nicht unbedingt ein besonders ehrenhafter Beruf«, sagte die Frau stockend, »es ist so …«
Er ist Henker, dachte
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