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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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Crestina und wälzte in ihrem Kopf bereits tröstende Sätze für diese Frau, die offenbar kurz davor war, die Nerven zu verlieren.
    Die Frau biss sich auf die Lippen.
    »Er verdient viel Geld, mein Mann, und meine Familie war völlig verschuldet. Mein Vater hatte unser gesamtes Geld verspielt und wäre in den Schuldturm gekommen. Und da habe ich eben ihn genommen. Ich stamme aus Basel«, fügte sie dann hinzu, als sei dies eine Erklärung für ihr hartes Schicksal.
    Fast so schlimm wie der Henker, dachte Crestina erschrocken. Eine unglücklichere Verkettung von Umständen konnte sie sich kaum vorstellen.
    »Habt Ihr Lust, mit hereinzukommen?«, fragte die Frau plötzlich und machte eine einladende Bewegung in Richtung des Hauses.
    Crestina wehrte hastig ab. Nein, sie wolle nicht mit ins Haus kommen, sie habe zu tun.
    Die Frau sah sie verwundert an.
    »Ihr habt doch ganz sicher noch nicht einmal ein Morgenessen eingenommen. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mir Gesellschaft leisten würdet.«
    Crestina sah die Bilder vor sich abrollen, als sei alles erst gestern geschehen. Sie sah den hell erleuchteten Garten, das Zucken der Pechfackeln, sie sah den Vater aus dem Haus kommen, sie glaubte, das Gespräch mit Lukas Helmbrecht zu hören, in dem ihre Hochzeit beschlossen worden war, sie sah die Mutter mit ihrem Cicisbeo durch den Garten wandeln, ihm spielerisch mit dem Fächer auf die Hand schlagen, wenn seine Sätze zu kühn wurden.
    Sie wollte nicht in dieses Haus, das sie seit damals nie mehr betreten hatte. Es genügte, dass die Erinnerungen an diese Zeit sie nicht losließen und in der hintersten Ecke ihres Kopfes lauerten.
    »Ich habe Euch überfallen«, sagte die Frau plötzlich mit hörbar schlechtem Gewissen. »Es ist nur, weil ich plötzlich so in Sorge war.«
    »Hatte Euer Gemahl sich für heute Morgen angekündigt?«
    »Ja, natürlich. Der Kugler hat noch gestern mit ihm vor unserer Abfahrt hierher gesprochen und –«
    »Ihr selbst habt nicht mit ihm gesprochen?«
    »Nein, ich war irgendwo anders, ich weiß nicht einmal mehr recht, wo ich war. Diese Kinder, die Diener, das Gepäck … es war einfach alles zu viel.« Sie strich sich über die Haare, atmete dann schwer aus.
    »Bitte vergesst die ganze Sache«, sagte sie dann entschlossen, »ich muss Euch wie eine seltsame Figur erscheinen, die nicht damit zurechtkommt, dass sie allein in einem neuen Haus wohnt, das ihr so fremd vorkommt wie eine Hütte auf dem Mond.«
    »Und weshalb ist das so?«
    »Es schlottert mir um den Leib«, sagte sie langsam, »es ist mir zu groß. Den Vorgängern war es auch zu groß. Und deren Vorgängern ebenfalls. Es liegt auch viel zu weit ab. Man sieht die Stadt nicht.«
    »Nun, man ist ja manchmal wohl froh, wenn man die Stadt nicht sieht«, sagte Crestina. »In Pestzeiten zum Beispiel.«
    »Es sollen hier auch Leute gestorben sein, in diesen Pestzeiten«, sagte die Frau und sah sich ängstlich um, so, als könnten die Toten in diesem Augenblick wieder auferstehen. »Ich meine, in diesem Haus. Vielleicht sind sie ja hier im Garten begraben …«
    Crestina wusste bis heute nicht, wo ihre Eltern begraben worden waren, vermutlich auf irgendeiner der Inseln. Für einen Augenblick überlegte sie, ob sie das Geheimnis aufklären sollte, dann entschied sie sich, dass es für diese Frau in diesem Augenblick wohl besser war, die wahre Geschichte dieses Hauses im Dunklen zu lassen.
    Wieder kam der grelle Schrei des Pfaus über die Wiese. Die Frau zuckte zusammen und hielt sich die Ohren zu.
    »Wie das jüngste Gericht, findet Ihr nicht auch? Und dann überall diese Spione«, fügte sie zusammenhanglos hinzu, »die vermutlich überall herumsuchen. Und die Inquisition. Und die Giftmorde. Kaum waren wir in der Stadt, da sah ich, wie sie eine Frau –«
    »Werden bei Euch die Verbrecher nicht bestraft?«, fragte Crestina sanft.
    »Aber doch nicht so«, sagte die Frau empört. »Das alles erinnert mich hier an den Orient«, sagte sie dann mit Nachdruck. »Und ich weiß überhaupt nicht, weshalb mein Mann dieses Haus kaufen wollte. Wozu er es braucht, versteht Ihr? Schließlich haben wir ein großes Haus in der Stadt. Ich sage Haus, aber eigentlich ist es mehr ein Palazzo. Was werden sie in Basel sagen, wenn sie das alles erfahren! Es passt ja nichts zusammen. Und dass es ein berühmter Architekt gebaut haben soll, dessen Namen ich mir ohnehin nicht merken kann, bedeutet mir auch nichts.«
    Crestina seufzte. Bevor sie mit Haut und Haaren in

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