Stadt der blauen Paläste
allem Überfluss hatte dann der Schwiegervater, der zusammen mit meinem Vater den Bräutigam, den Chatan, zur Chuppa geleiten sollte, aus Versehen an eine der vier Stangen des Baldachins gestoßen, sodass die Chuppa zu wackeln begann und die Gäste erschrocken zur Seite sprangen.«
Bianca lachte. »Aber letztendlich wird ja wohl noch alles gut gegangen sein?«
»Natürlich ging dann alles gut. Ich wurde siebenmal um den Bräutigam herumgeführt, was ohne Schwierigkeiten ablief, der Rabbi sprach die ›Schewa Berachot‹, die sieben Segenssprüche, Abram und ich tranken Wein aus demselben Becher. Zum Schluss wurde dann ein Glas zertreten.«
»Von dem Glas habe ich noch nie gehört«, sagte Bianca verblüfft, »weshalb wurde es zertreten und von wem? Von dir?«
»Natürlich nicht von mir. Von Abram. Solche Dinge machen Männer. Und weshalb? Nun, damit man sich immer an die Zerstörung des Tempels von Jerusalem erinnert. Dann riefen uns alle ›Masel-tow‹ und ›Siman-tow‹ zu, also ›gute Aussichten‹, und danach wurde gefeiert, wild gefeiert, gesungen und ebenso wild getanzt, vor allem chassidische Tänze.«
Bianca schüttelte irritiert den Kopf und schaute auf Leas Hand.
»Es gab ja wohl doch auch einen Ring, oder? Und gegessen werdet ihr wohl auch haben?«
Lea lachte wieder.
»Natürlich haben wir gegessen, es war das schönste Mahl, das ich je gesehen hatte. Und diesen Ring«, Lea hielt ihn Bianca entgegen, »diesen Ring hat mir Abram über den Finger gezogen mit den Worten: ›Sei mir nach Moses und Israels Gesetz durch diesen Ring angetraut.‹ Nur Frauen bekommen einen Ring, Männer nicht.«
Eine Weile war Stille, Lea hing ganz offensichtlich ihren Träumen nach. Bianca starrte irgendwo in die Ferne.
»Genauso möchte ich es auch haben«, murmelte sie dann, »genauso. Und ich verspreche dir auch, ganz gewiss nicht abergläubisch zu sein. Und ein Nüssespiel muss ich ja auch nicht absolvieren. Ich habe ja schon gewählt.«
Diesen Satz konnte Lea inzwischen nur mit gerunzelter Stirn zur Kenntnis nehmen.
Und sie fragte sich mit einem Mal erschrocken, ob sie sich Bianca gegenüber richtig verhielt. Ob sie auch wirklich alles erzählt hatte, was es zu erzählen gab, über diesen Messias. Ob sie nicht übertrieben hatte, ob Dinge, die sie so empfand, möglicherweise bei Bianca völlig anders ankamen. Schließlich war es ihre Religion, die eine lange Geschichte hinter sich hatte.
Die Hoffnung auf den Messias war immer allgegenwärtig gewesen, mal war sie nah, mal war sie fern. Zuletzt war es Sabbatai Zwi gewesen, der sich, unterstützt von seinem Propheten Nathan von Gaza, in Smyrna selbst zum Messias ernannt hatte und später für die Gläubigen eine abgrundtiefe Enttäuschung gewesen war: Als er in Konstantinopel eingetroffen und sofort festgenommen worden war, ließ ihm der Sultan nur die Wahl zwischen Folter und Tod oder dem Übertritt zum Islam. Sabbatai Zwi wählte den Islam.
Nun also Nathan aus Gaza, der kurz vor Pessach in Venedig ankam und sofort neue Unruhen hervorrief und die Menschen in höchste Erwartungsspannung versetzte.
Und Bianca fühlte sich ganz offensichtlich mittendrin in dieser Erwartung, ließ sich in diese Erregung hineinfallen, versank immer mehr in den Wunderglauben, klammerte alles aus, was ihrer Meinung nach dort nicht hingehörte. Sie schien kaum mehr zu bemerken, dass es um sie herum Menschen gab, die mit ihr litten und sie doch angeblich nicht verstanden.
Crestina vor allem fühlte sich an die Wand gestellt. Bianca sprach inzwischen meist nur noch vulgare, manchmal auch Jiddisch oder Hebräisch. Zumindest das, was sie dafür hielt. Sie gab vor, sie habe es in der Jeschiwa gelernt, obwohl sie ganz gewiss keinen Zutritt zu dieser Schule für jüdische Kinder gehabt hatte. Aber immerhin lernte sie mit unendlichem Fleiß die sechshundertdreizehn Gebote auswendig, und trug, wenn sie außerhalb des Hauses war, einen blauen Schleier, den Jüdinnen zu tragen hatten, aber den nicht einmal Lea trug. Clemens konnte seine Schwester gerade noch davon abhalten, sich die Haare abzuschneiden und eine Perücke zu besorgen. Die Bücher, die sich inzwischen neben ihrem Bett auftürmten, waren philosophische Bücher, der Talmud, kabbalistische Bücher, der Sohar, manchmal studierte sie offenbar die halbe Nacht hindurch, da ihre Kerze stets niedergebrannt war, wenn Crestina morgens in ihr Zimmer kam.
Es war Crestina klar, dass sie mit Lea reden musste, aber Lea lag inzwischen meist auf
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