Stadt der blauen Paläste
Eltern gingen mit ihren Kindern, die alle maskiert waren, spazieren. Junge Leute zeigten ihr Verliebtsein in aller Öffentlichkeit, alte Leute saßen vor ihren Häusern und erzählten sich von ihrer Jugend, dass sie genauso glücklich waren, wenn sie ein Paar wurden. Wir aber, Diana und ich, waren noch ungebunden. Es standen auch keine Männer zur Debatte, die bereit gewesen wären, mit uns zusammenzukommen. Also schlug Diana vor, dass wir uns doch endlich selbst um Freier bemühen sollten. Sie mussten ja nicht unbedingt gleich unsere Ehemänner werden, sollte es uns nicht gefallen, was dabei herauskam. Und wir erinnerten uns an dieses alte Nüssespiel, das junge Leute schon früher angewandt hatten, um endlich zu einem Partner zu kommen. Wir kauften uns also Walnüsse und schrieben auf sie Namen. Irgendwelche Namen von irgendwelchen Männern, die wir von der Synagoge her kannten. Natürlich nur die Namen von unverheirateten Männern. Diana wollte zunächst überhaupt nur die Namen von wohlhabenden Männern nehmen, von solchen etwa, die in der Levante Geschäfte machten und ständig in vornehmen Kleidern durch den Chazer spazierten. Aber mir war das eigentlich egal. Also, nicht ganz egal – ich wollte natürlich auch nicht gerade einen Knochenkocher oder einen Straßenkehrer.«
Bianca hatte längst mit dem Zusammenlegen von Wäschestücken aufgehört und hing wie gebannt an Leas Mund.
»Und dann? Was geschah dann?«
»Nun, wir hatten also eine ganze Reihe von Namen auf diese Nüsse geschrieben: Giuseppe, Antonio, Giulio, Michèle, Daniello, auch einige Namen, die wir nur so vom Hörensagen kannten. Es gab da zum Beispiel im ghetto vecchio einen Stuhlrestaurateur, von dem Diana irgendwann gehört hatte und für den sie sich begeisterte, kaum dass sie ihn einmal gesehen hatte. Er hatte lockige schwarze Haare, eine breite Brust und schlanke Hüften – genauso, wie Frauen sich Männer erträumten. Sein Name war David.«
»Und jede von euch sollte sich den Männern, deren Namen auf den Nüssen standen, um die ihr gewürfelt hattet, nähern?«
»Nicht nur nähern, wir sollten natürlich um sie werben. Richtig werben. Sie wissen lassen, dass wir an ihnen interessiert waren. Nicht anders, als das Männer auch mit Frauen machten.«
»Und du solltest dich um Abram bemühen?«
Lea wehrte ab.
»Abrams Name hatte gar nicht auf den Nüssen gestanden. Aber lass mich weitererzählen. Diana ging also dann ziemlich oft an dem Geschäft des Stuhlrestaurateurs vorbei und betrachtete seine reparierten Stühle, die er vor dem Laden stehen hatte. Und da dieser David dies natürlich irgendwann merkte und sich geschmeichelt fühlte – wobei er natürlich glaubte, das Interesse dieser jungen Frau gelte seinen Stühlen und nicht ihm –, ergaben sich Gespräche und –«
»Vergiss nicht Abram«, mahnte Bianca, »er muss doch irgendwann auch auftreten. Und um welche Namen hattest du eigentlich gewürfelt?«
»Die Namen, um die ich gewürfelt hatte, weiß ich ganz gewiss nicht mehr, außerdem hatte ich ohnehin nie den Mut, das zu tun, was Diana tat. Ich hätte es vermutlich schon gar nicht fertig gebracht, dieses Werben. Aber nun gib Acht, weil jetzt nämlich wirklich Abram auftaucht. Diana hatte mich eines Tages mitgenommen zu ihrem Stuhlrestaurateur, weil sie mir zeigen wollte, wie man bei diesem Werben vorging, so etwas macht. Also einen Mann auf sich neugierig machen. Ich stand an der Tür der Werkstatt und Diana kroch halb unter den ausgestellten Stühlen herum, um ihr Interesse zu signalisieren, obwohl David sich im Hintergrund des Ladens mit jemand unterhielt. Und nicht über Stühle. Sondern über irgendeine religiöse Sache, die ich nicht beurteilen konnte, weil die Stimmen zu weit weg waren. Die Männer diskutierten also, erst sanft, dann lauter, wobei dieser discorso dann irgendwann fast in einen Streit ausuferte, weil man sich nicht einigen konnte, wann das Buch des Sohar, also das wichtigste Buch der Kabbala, überhaupt aufgeschrieben worden war. Ob in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Tempel, also ungefähr in der Zeit fünfhundertsechsundachtzig bis fünfhundertfünfzehn vor oder erst etwa einhundertfünfzig nach eurer Zeitrechnung. Und vor allem, wann es wieder aufgefunden worden war und wo.
Da sich die beiden Männer ganz offensichtlich nicht einigen konnten, an welchem Ort dieser mehr als kostbare Fund wiederentdeckt wurde – nämlich als ein Kabbalist beim Fischkauf von einem Araber plötzlich
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