Stadt der blauen Paläste
entdeckte, in welches Papier seine Fische eingewickelt waren –, entstand plötzlich eine Stille. Und in diese Stille hinein sagte ich: ›Das war in Safed.‹ Und dann zitierte ich einige Sätze aus diesem Buch.
Die beiden Männer starrten mich an, als sei ich vom Himmel herabgefallen. Sie vergaßen ihren Streit, dann sagte dieser andere Mann im Hintergrund der Werkstatt mit seiner sanften Stimme: ›Sie hat Recht, so steht das im Sohar. Und natürlich war es Safed.‹
›Frauen ist es verboten, die Kabbala zu studieren‹, hatte David sofort vorwurfsvoll erwidert.
›Aber wenn sie weiß, was an dieser Stelle im Sohar steht, will ich mit ihr reden.‹ Das war wieder der andere. Er sagte es energisch, trat aus dem Dunkel der Werkstatt hervor, schob mich hinter ein Stehpult, das David gerade restaurierte, und forderte, dass ich meinen Satz nochmals laut und deutlich wiederholte. Ich geriet ins Stocken, weil ich noch nie in meinem Leben hinter einem Stehpult gestanden hatte, wie es die Lehrer benutzten. Dieser Mann, von dem ich seinen Namen erst später erfuhr – du hast es längst erraten, es war natürlich Abram –, behandelte mich von da ab, als sei ich ein Schüler in der Jeschiwa, oder gar ein Lehrer. Er stellte mir Fragen, korrigierte mich lächelnd, nickte bisweilen zustimmend und plötzlich stieg auch David in das Gespräch ein. Und dann unterhielten wir uns in aller Ernsthaftigkeit über die Kabbala. Ich, eine Frau, diskutierte mit diesen beiden Männern über die Kabbala. Obwohl es angeblich für Frauen verboten war, die Kabbala zu studieren.«
»Das ist ungeheuerlich«, sagte Bianca voller Ehrfurcht. »Aber woher wusstest du das eigentlich alles?«
»Nun, ich hatte in meiner Familie ja nur Brüder. Von denen nahm mich keiner ernst. Mein Vater natürlich auch nicht. Aber ich hatte einen Onkel, der selber keine Kinder hatte, und dem gefiel meine Neugier in all diesen Dingen. Und der unterrichtete mich. Meist heimlich.«
»Ich kann mir schon vorstellen, wie es weiterging«, sagte Bianca.
»Nein, das kannst du eigentlich nicht«, wehrte Lea ab, »ich hatte nämlich plötzlich zwei Freier, und es war klar, dass das meine Freundschaft mit Diana fast zum Bruch brachte. Schließlich hatte sie die Nuss gewürfelt, die nun möglicherweise Erfolg haben würde. Sie hatte die Annäherungsversuche gemacht, sie hatte mich überhaupt erst in diese Werkstatt gebracht. Aber die beiden Männer gebärdeten sich bei diesem ersten Treffen so, als gäbe es Diana nicht mehr.
›Inzwischen kenne ich diese reparierten Stühle vor dem Laden nicht nur von oben, sondern auch von unten so gut, dass David mich schon als Lehrling einstellen könnte‹, beschwerte sie sich später bei mir.
Und von da ab lief alles ohnehin völlig anders, als von uns geplant. Vor allen Dingen dann, als Abram mich zum ersten Mal in seinen Buchladen einlud, was Diana, da die Einladung natürlich nur mir galt, vollends verstimmte.«
»Und jetzt die Hochzeit«, forderte Bianca erregt. »War sie hier im Ghetto?«
Lea lachte.
»Das schon, aber … ach, es gab so viele Zwischenfälle, dass ich schon gar nicht mehr daran glauben konnte, dass es sie geben würde. Also, selbstverständlich waren meine Eltern mehr als angetan von diesem Bräutigam, aber meine Mutter fand den Schleier nicht, den ich tragen sollte. Ihren Schleier, den sie an ihrer Hochzeit getragen und den schon ihre Großmutter getragen hatte. Wir waren damals ja durch so viele Orte geflohen – Einpacken, Auspacken, Einpacken, Auspacken –, dass niemand mehr recht wusste, was eigentlich in seinem Bündel gewesen war. Ich nahm das als schlechtes Omen, aber Abram schüttelte lächelnd den Kopf und sagte, ich solle diesen Aberglauben beiseite lassen, er werde von jetzt ab für mich da sein und dafür sorgen, dass alles seine Richtigkeit habe. Das sagte er bei den weiteren Vorbereitungen dann noch einige Male. ›Du kennst die Verse der Kabbala‹, pflegte er dann zu sagen, ›das zählt und sonst nichts.‹ Wofür meine Sulzburger Familie ihn zwar bewunderte, aber auch Zweifel hatte an seiner Ernsthaftigkeit, was das tägliche Leben anbetraf, wobei es hier bisweilen nur um lächerliche Kleinigkeiten ging: Meiner Familie war zum Beispiel der Ketubba, der Ehevertrag, nicht vornehm genug. Meine Mutter erzählte von den Blumenranken, den ihre Ketubba einst hatte, und dies sei auch bei ihrer Mutter so gewesen. Sie tat so, als hinge alles von der äußeren Form dieser Ketubba ab. Und zu
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