Stadt der blauen Paläste
um die Pest noch um die Pocken handeln konnte, waren andere Quacksalber sofort wieder bereit, sich die Gulden von diesem reichen Reeder zu verdienen: Der eine kam mit Harnglas und Buch unter dem Arm und versuchte es mit Amuletten, der andere mit der Empfehlung einer Wallfahrt, der Lachsner probierte es mit Gesängen und magischen Riten, der so genannte ›Wodansfinger‹ sollte die Dämonen vertreiben, und der ›Gode‹ wollte die gesamte Familie in seine Behandlung mit einbeziehen, während wieder andere es mit Kräutersud und Salben versuchten. An manchen Tagen schien es Crestina, als sei die gesamte Heilkunst der vergangenen Jahrhunderte auferstanden und habe sich hier in ihrem Haus versammelt.
Später dann, als die Krankheit sich unter den diversen Behandlungen nicht besserte, sondern verschlimmerte, folgten Albträume und Wahnvorstellungen. Und dann begann die durch nichts zu unterbrechende Schlafsucht, die von einem übel riechenden Schweiß begleitet war. Der Kranke müsse schwitzen, verordnete ein Bader. Und trinken. Aber schwitzen vor allen Dingen. Also stapelte Crestina Federbetten auf Renzo und nähte ihn auf Rat des Baders in Pelze ein, was er jedoch schon gar nicht mehr wahrnahm.
Das Einzige, was Crestina blieb nach diesen Wochen des Leidens und der Qual, war der Name der Krankheit: Es sei vermutlich der ›Englische Schweiß‹ gewesen, behauptete der Letzte der unfähigen Heiler. Und hielt auch für diesen ›Dienst‹, den er Crestina erwies – auch wenn es nur ein möglicher Name war –, nochmals die Hand auf.
Dass es sich um eine Krankheit gehandelt hatte, die mitnichten so unbekannt gewesen war, wie man ihr hatte weismachen wollen, erfuhr sie erst viel später: In Hamburg waren innerhalb von vier Tagen vierhundert Menschen gestorben, über den Rhein und die Donau war die Krankheit nach Basel, Straßburg und Wien gekommen, und hatte dort gewütet. Und es gab kaum eine Stadt in Deutschland, die nicht von ihr betroffen war und aus der die Menschen nicht flohen, um sich zu retten, weil sie annahmen, diese Krankheit sei schlimmer als der ›morbus gallicus‹.
Einige Tage später hatte es den Anschein, als habe Ludovico endlich sein Berufsziel gefunden. Hatte er bisher ständig gependelt zwischen Arzt, avvocato und Apotheker, so war er nun endgültig sicher, dass er Kapitän werden wollte. Genauso wie Clemens das beabsichtigte, was seine Mutter jedoch keinesfalls befürwortete.
Crestina atmete auf, da bisher nur sicher gewesen war, was Ludovico nicht hatte werden wollen: Salzhändler. Nun also ein Beruf, von dem sie annehmen wollte, dass er nicht über die Maßen gefährlich sein würde, wenn man einmal davon absah, dass von den Fischern natürlich immer irgendwelche auf See blieben. Sie wusste zwar nicht, wieso ihr jüngster Sohn mit einem Mal auf diesen Beruf verfallen war, aber da Clemens nur den Kopf schüttelte und sie fragte, ob sie etwa ihre Söhne auch noch bis dreißig behüten wollte, wie Lea dies tat, hatte sie geschwiegen. Auch wenn Padua nun nicht mehr zur Debatte stand und sie es gerne gesehen hätte, dass ihr Sohn in diese Stadt gegangen wäre.
»Mein Sohn studiert in Padua«, hatte sie sich schon sagen hören, und sie wusste, dass das nicht nur gut klang, sondern dass es ihr außerdem fast so erschien, als halte Riccardo auch darüber noch seine Hand. Riccardo, nicht Renzo. Was ihr jedoch nicht einmal ein schlechtes Gewissen eintrug.
Es lagen nun also im Palazzo ständig Karten auf irgendwelchen Tischen, im Kaminzimmer, in der sala, irgendwann kam ein Astrolabius dazu, den Clemens für seinen Bruder irgendwo aufgetrieben hatte. Beim Essen bestritten ihre Söhne das Gespräch, und sie wunderte sich, wie viel Clemens vom Beruf des Kapitäns wusste, da er schließlich unter der Leitung seines Vaters in den Beruf des Reeders hineingewachsen war und der Kapitänsberuf nie recht zur Diskussion gestanden hatte.
Als Bianca von einem Besuch bei der Tante in Pellestrina zurückgekehrt war, beteiligte sie sich an diesen Gesprächen und bei manchen Essen hatte Crestina das Gefühl, als stünde sie außerhalb ihrer Familie. Eine Familie, die nun nichts weiter im Kopf zu haben schien, als sich Fahrten auszudenken, die Ludovico eines Tages machen würde. Fahrten, zu denen er selbstverständlich seine Schwester mitnehmen würde. Und da dies alles war, was zu Crestina herüberdrang, war sie endlich auch eine Mutter, die aufatmen konnte, da ihre Kinder offenbar einen richtigen Weg
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