Stadt der blauen Paläste
gestrandet war. Wie er von dort zum Sklavenhandel gekommen war, blieb Crestina ein Rätsel. Es sei denn, es hätte mit jenem Schweizer Geschäftsmann zu tun, dessen Frau sie damals in der limonaia kennen gelernt hatte, jene Leute, die einst ihre Villa an der Brenta gekauft hatten. Die Frau hatte damals nicht gewusst, in welchen Geschäften ihr Mann tätig war, aber Crestina war damals ganz sicher gewesen, dass es in Richtung Mädchenhandel gegangen sein musste.
Aber ebenso gut konnte das Schiff, auf dem sich ihr Vetter zu jener Zeit befand, auch gekapert worden sein, und sie war sicher, dass Bartolomeo ein Mann war, der sich in jeder Lebenslage zu helfen wusste und den schon bereits nach kurzer Zeit niemand mehr von der Kapermannschaft unterscheiden konnte. Und vor allen Dingen wusste sie, dass er das, was er sich einmal vorgenommen hatte zu bekommen, auch bekam. Gleichgültig, ob es sich dabei um ein Schiff mit Sklaven am Ende der Welt handelte oder um ihren Sohn Ludovico.
10. Kashrut
»Du hast es also geschafft! In weniger als zwei Tagen hast du es geschafft!«
Bianca stand mit bleichem Gesicht in der Küche, starrte auf das oberste Fach des Regals mit Geschirr und zerrte entsetzt einen Teller heraus. Bevor sie ihn mit einer heftigen Bewegung auf den Boden schleudern konnte, hielt Crestina ihren Arm und entwand ihr den Teller.
»Was um alles in der Welt ist mit diesem Teller?«, wollte sie dann wissen und versuchte, ihn wieder ins Regal zu legen. »Überhaupt habe ich mich gefragt, von wem er stammt. Er gehört nicht zu meinem Geschirr.«
»Der gehört auch nicht dahin!«, schrie Bianca entsetzt und zerrte den Teller erneut zurück. »Im Übrigen kannst du ihn ohne weiteres fallen lassen. Benutzen kann man ihn ohnehin nicht mehr.«
Dann ließ sie den Teller unter Schluchzen auf den Boden rutschen und setzte sich an den Tisch.
»Rühr nichts mehr an!«, schrie sie zornig, als Crestina den nächsten Teller greifen wollte. »Der gehört doch auch dazu. Ich frage mich, wer ihn überhaupt auf diesem Tellerstapel eingeordnet hat. Ich dachte, ich könnte dir vertrauen«, murmelte Bianca, »aber offenbar hasst du mich so sehr, dass du nicht einmal das respektierst, was ja wohl offenkundig war. Es musste doch klar sein, dass diese Teller, diese Schalen und Schüsseln überhaupt nicht zu deinem Geschirr gehörten.«
»Hier gehört seit einigen Tagen bereits eine ganze Menge nicht mehr in meine Küche«, erwiderte Crestina ebenso zornig und deutete auf die Töpfe und Pfannen, die unter dem Küchentisch standen. »Ich habe sie nie zuvor gesehen.«
Bianca sprang auf, griff eine der Pfannen und roch daran.
»Wofür hast du sie denn benutzt?«, fragte sie dann misstrauisch.
»Für gar nichts«, gab Crestina zurück. »Und jetzt möchte ich endlich wissen, was dieser ganze Zirkus soll.«
»Zirkus?«
Bianca schien kurz davor, die Pfanne ebenfalls auf den Boden zu werfen.
»Das ist kein Zirkus!«, schrie sie dann. »Es bedeutet, dass ich mein ganzes neu gekauftes Geschirr, für das ich viel Geld ausgegeben habe, jetzt wegwerfen kann.«
»Und weshalb?«
»Weil du Fleischiges und Milchiges vermischt hast! Und weil ich nun gerade noch einmal von vorne anfangen kann. Ich hätte auf Lea hören sollen, sie hatte mich ja gleich gewarnt.«
»Es hat also mit Lea zu tun?«, fragte Crestina zögernd.
»Mit wem denn sonst? Ich denke, sie ist deine Freundin! Hat sie dir noch nie von Kashrut erzählt?«
Crestina zog einen Stuhl an den Tisch und setzte sich.
»Wir haben uns viele Jahre nicht gesehen«, erwiderte sie dann, »aber natürlich weiß ich das von früher. Nur verstehe ich nicht, wieso Lea ihr getrenntes Geschirr für koscheres Essen plötzlich in meinem Regal untergebracht hat.«
»Es ist mein Geschirr, es sind meine Töpfe, meine Bestecke, meine Schüsseln«, sagte Bianca tonlos. »Oh, Madonna, du hast alles kaputtgemacht.«
»Kind«, Crestina rückte den Stuhl näher an Biancas Stuhl, was Bianca jedoch nicht zuließ. »Lea ist Jüdin, du bist Christin. Bei uns gibt es diese Gesetze doch überhaupt nicht.«
»Aber du siehst doch, wie wichtig mir das alles ist«, versuchte Bianca unter Schluchzen zu erklären.
Crestina stand seufzend auf.
»Ich sehe, wie du dich verrannt hast. Und das tut mir weh. Du tust das alles wegen Moise, und es dürfte dir klar sein, dass das zu nichts führt. Inzwischen willst du jüdischer sein als Juden. Vermutlich genügen dir nicht einmal die sechs Stunden, die man zu warten hat,
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