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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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Margarete erschrocken. »Bist du krank? Meine Großmutter brauchte auch immer ein offenes Fenster für ihr Herz. Du musst ja nicht reden, wenn es dich aufregt«, sagte sie dann entschuldigend, »ich kann gehen und ein andermal wiederkommen.«
    Crestina schüttelte den Kopf, sah in ihrem Spiegel, wie die Tränen ihr übers Gesicht liefen.
    »Um Himmels willen!«, sagte Margarete betroffen und zog ein Taschentuch aus ihrem Kleid. »Komm, setz dich.«
    »Du hast gefragt, was ich getan habe in dieser Zeit«, sagte Crestina mühsam und schloss das Fenster. »Nun, ich habe eine schwarzrote Rose bewässert, auf der einstigen Pestinsel. Das war so ungefähr alles in den vergangenen Jahren, was ich gemacht habe. Außer noch ein paar Nebensächlichkeiten.«
    Margarete starrte Crestina an. »Falls das verschlüsselt heißen soll, dass du fünf Jahre um Riccardo getrauert hast und es immer noch tust, dann ist das entsetzlich.«
    »Dann ist es eben entsetzlich«, erwiderte Crestina trotzig. »Und ich habe noch etwas getan.«
    »Du hast also diese schwarzrote Rose auf seinem Grab bewässert?«, hakte Margarete nach.
    »Nicht auf seinem Grab. Ein Grab, das er mit hunderten anderen Pesttoten teilt. Auf der Insel. Auf Lazzaretto veccio. Und was ich sonst noch getan habe, ist das, was du für überflüssig hältst: Ich habe Ovid übersetzt. Horaz. Cicero.«
    Margarete strich Crestina eine Locke aus dem Gesicht.
    »Ich fürchte, ich bin irgendwie abgestumpft«, sagte sie dann zögernd. »Ich lebe in den Tag hinein, freue mich meines Lebens, bin fröhlich, mache meine Geschäfte, bin stolz, dass sie mir gelingen, als Frau gelingen. Ich genieße, was immer ich genießen kann. Und ich liebe Feste.«
    Drunten von der Straße drang lautes Gelächter herauf, dann waren Schalmeien zu hören, Kinder warfen Steine in den Kanal und versuchten sich zu übertrumpfen, wer es am weitesten schaffte. Margarete stand auf, ging zum Fenster, schaute hinaus und winkte den Kindern zu.
    »Am liebsten würde ich dich natürlich fragen, welche Pläne du für carnevale hast, das hatte ich mir fest vorgenommen, auch wenn das gewiss der falsche Zeitpunkt ist und es vielleicht noch eine Weile dauert, bis du so weit bist«, sagte Margarete plötzlich.
    Crestina schüttelte müde den Kopf.
    »Du weißt, in Venedig feiern wir nahezu das ganze Jahr über carnevale. Eine bautta kannst du immer tragen bei uns, ohne aufzufallen.«
    Margarete nahm ihren Hut vom Tisch, setzte ihn auf und betrachtete sich im Spiegel.
    »In Nürnberg sind sie anders, die Kopfbedeckungen. Bescheidener, steifer«, sagte sie dann sinnend, »hier gefallen sie mir entschieden besser. Sie sind irgendwie lustiger.«
    Crestina hatte das Gefühl, dass sie Margaretes Großmutter, die ständig nach Luft japste, auf einmal sehr nahe sei, als Margarete endlich unter vielen gut gemeinten Sätzen, die über sie hinwegstoben wie die Tramontana im November, die Wohnung verließ. Und sie dankte Gott, dass sie heute ungestraft sämtliche Safransorten, die sie damals in Nürnberg für die Safranschau hatte auswendig lernen müssen, durcheinander wirbeln durfte und es ihr erspart blieb, all die komplizierten Unterschiede zwischen Klingenschmieden, Papiermühlen, Drahtziehermühlen, Schleifmühlen und Hammerwerken zu kennen, wie man es von ihr erwartet hatte, als sie noch glaubte, dass sie in dieses ›Ferne Land‹, wie sie Nürnberg immer genannt hatte, würde einheiraten müssen.

6. Limonaia I
    Sie erreichte die limonaia erst am späten Nachmittag, schon halb in der Dämmerung, da sie zuvor noch ihre Korrekturen in der Druckerei hatte abliefern müssen. Sie vertäute das Boot am Ufer der Brenta, stieg dann mit ihrem kleinen Karren, in den sie Lebensmittel für einige Tage eingepackt hatte, den Hang hinauf und blieb aufatmend vor der Tür ihres kleinen Häuschens stehen. Sie nahm den Schlüssel mit dem rostigen Bart aus ihrem Korb und stocherte damit im Schloss, das nach wie vor klemmte. Aber offenbar taten dies alle Schlösser, mit denen sie zu tun hatte.
    Sie versuchte, sich zu entsinnen, wann sie zum letzten Mal hier gewesen war, aber sie brachte ihre Erinnerungen durcheinander, konnte nicht mehr zuordnen, was ›vorher‹ und ›nachher‹ geschehen war. Sie wusste nur, dass es in jener Zeit gewesen sein musste, in der tagelang Regen fiel und durch den Sturm ein Dachziegel zerbrochen worden war, sodass sie mit einem Eimer das Wasser auffangen musste.
    Am Anfang der Zeit nach dem Verlust des Palazzos, die

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