Stadt der blauen Paläste
jetzigen Besitzer sind zwar zu dumm, um überhaupt zu wissen, was es bedeutet, eine Palladio-Villa zu besitzen, aber sie tun wenigstens etwas dafür. Zumindest stopfen sie sie bis an die Decke voll mit kostbaren Möbeln und Teppichen, ganz gleich, ob es zusammenpasst oder nicht. Wie lange die Liebe hält zu diesem armen Haus, das sich nicht wehren kann, weiß ich nicht.«
Er machte eine Pause und blickte über sie hinweg.
»Es müsste ein Gesetz geben, das Leuten, die keinerlei Verantwortung für die Dinge haben, die ihnen anvertraut sind, verbietet, solche Dinge zu besitzen«, fügte er grimmig hinzu.
Dann wandte er sich um und verschwand grußlos in der Nacht.
Sie schloss die Tür und stellte für sich fest, dass er keinesfalls besser ausgesehen hatte als sie. Auf seiner Hose hatte sie Schlammflecken entdeckt, seine Hände waren schwarz von Ruß und der seltsame Lederhut, den er trug, der aussah wie eine ziemlich schäbige Tiara, war voll mit Gipsspritzern.
Ein Kaminbauer also oder ein Maurer, der sich urplötzlich zum Weltenrichter berufen sah, dachte sie verärgert, als sie später zu Bett ging. Vielleicht war er auch nur ein armer Dachdecker, der hier ein paar Dachziegel neu verlegen durfte und sich dabei in das Gefühl hineinsteigerte, dass diese Villa eigentlich ihm gehören müsste, weil nur er in der Lage war, sie auch gebührend zu schätzen. Sie drehte sich zur Wand, hatte Mühe einzuschlafen, drehte sich wieder zur Tür. Sie fragte sich plötzlich, wie sein Gesicht ausgesehen hatte, aber offenbar waren ihr die Gipsspritzer auf dem Hut und der Ruß an seinen Händen wichtiger gewesen als Augen und Mund oder Nase. Sie seufzte, ärgerte sich über ihre Beschäftigung mit einer Angelegenheit, die sie nichts anging und ihr im Grunde genommen auch völlig egal war.
Zumindest bildete sie sich ein, dass dem so sei. Und dass sie auch die schmutzigen abgebrochenen Fingernägel nicht störten, weil es nun mal seine Fingernägel waren und nicht die ihren.
7. Das ›Pestkind‹
»Zuerst hast du gesagt, dass Samson und Simhah meine Eltern sind. Aber sie waren es nicht. Ich habe keine Eltern. Und Samson und Simhah sind jetzt schon lange in Rom, im Serraglio. Dann hast du gesagt, du seist meine Nonna, aber du bist auch nicht meine Nonna. Ich habe keine Nonna, vermutlich nie eine gehabt. Du hast gesagt, ihr alle seid meine Familie, aber ich habe überhaupt keine Familie. Meine ganze Familie ist an der Pest gestorben.«
Moise stand in der Tür zu Abrams Hinterstübchen, die Hände zu Fäusten geballt, das Gesicht rot vor Zorn. Ein Bild, wie man sich den zürnenden Propheten Micha vorstellte.
»Ihr habt gelogen! Alle! Gelogen! Gelogen! Und außerdem habt ihr gesagt, ich sei ein Pestkind. Ein Pestkind«, flüsterte Moise. »Ich hasse dich.«
Lea wischte sich mit dem Staublappen, mit dem sie soeben eine Reihe von alten Büchern abgestaubt hatte, über das Gesicht, verschmierte Schweiß mit Schmutz und starrte Moise an. Sie legte die Hand auf die Brust, murmelte irgendwelche jiddischen Sätze, was sie stets tat, wenn sie erregt war. Manchmal verfiel sie sogar ins Badische, so, als könne sie in dieser Sprache, die ihre Familie in ihrer Kindheit gesprochen hatte, in solchen Situationen Halt finden. Sprachen, die Moise nicht verstand und die daher seinen Zorn jedes Mal noch weiter ansteigen ließen.
»Das wird dir jetzt auch nicht mehr helfen«, sagte er gehässig. »Ich hasse deine Sprachen, die ich nicht verstehe. Hinter denen du dich versteckst.«
»Wer hat das alles gesagt?«
»Was?«
»All das, was du mir jetzt gerade vor die Füße geworfen hast«, sagte Lea mühsam und ließ sich schwerfällig auf ihren Schemel fallen.
»Die Kinder«, flüsterte Moise, nahm Lea das Staubtuch aus der Hand und putzte sich damit die Nase.
»Welche Kinder?«
»Die Kinder in der Jeschiwa. Und die aus der Calle del Forno, die aus der Calle dell'Orto, aus der Calle Barucchi und vom Corte dell –«
»Hör auf«, sagte Lea seufzend, griff hinter sich, zog ihre Kichlech dose heran, wollte Moise auf den Schoß ziehen. »Schließlich kann sich wohl kaum der ganze Chazer mit dir und deinen Problemen beschäftigen«, sagte sie dann ruhig.
Aber Moise wehrte sich, versteifte seine Arme und ließ nicht zu, was Lea beabsichtigte. Weder die Liebkosung, noch die Kichlech, die sie ihm in den geschlossenen Mund schieben wollte.
»Öffne deine Fäuste«, befahl sie.
Moise schüttelte den Kopf, ballte die Fäuste noch stärker, sodass das
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