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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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Weiß seiner Knöchel nun wie die abgenagten, gebleichten Knochen eines Tieres durch die Haut hindurchschimmerten.
    »Ihr habt gesagt, ich sei ein Pestkind«, beharrte er dann.
    »Zu wem soll ich das gesagt haben?«, keuchte Lea.
    »Zu Diana, deiner Freundin. Sie hat es dann beim Bäcker erzählt, der Bäcker hat es beim Fleischer erzählt und der Fleischer im Gasthof. Und alle freuten sich, wie gut dieses Pestkind von einst doch nun schon gediehen sei.«
    Lea bemühte sich, ihren Kopf zu klären, versuchte zu erforschen, ob sie dies gesagt hatte, jenes gesagt hatte, zu wem sie es gesagt haben könnte, falls sie es überhaupt getan hatte. Aber es fiel ihr nicht ein. Möglicherweise hatte sie es einmal sehr viel früher zu Crestina gesagt, aber die würde solch ein Gespräch niemals weitergeben. Sie ging die Reihe der Leute durch, mit denen sie Umgang hatte, der Gemüseverkäufer, die Leute in den Banken, die verschiedenen Kleiderhändler auf dem großen Platz des ghetto nuovo oder die Mitglieder der Gemeinde in der Synagoge. Aber ihr Kopf gab nichts preis, was nützlich sein könnte für diesen Disput, den ihr Moise aufgezwungen hatte.
    »Und dann hast du auch noch gelogen, als du neulich gesagt hast, dass die Vogeleltern ihre piepsenden Jungen in jedem Fall wiederfinden«, sagte Moise weinerlich. »Auch das war eine Lüge. Pesteltern haben ihre Jungen überhaupt nicht wiedergefunden, da konnten sie piepsen so lange sie wollten. Sie haben sie verhungern und verdursten lassen. In Venedig, in Spalato, in Livorno. Überall auf der Welt. Auch mich haben meine Eltern verhungern und verdursten lassen, sie haben mich zurückgelassen in einem leeren Haus in Spalato, wo deine Tochter mich gefunden und aufgenommen hat. Und als die dann auch von der Pest geholt wurde, haben mich irgendwelche Leute zu Samson gebracht. Und er hat mich bei dir abgeliefert. Wie ein Kleiderbündel, das irgendwo verloren ging und das niemand mehr haben möchte.«
    »Ich habe dich weder verhungern noch verdursten lassen«, sagte Lea und begann leise vor sich hin zu schluchzen. »Ich habe dich gefüttert, gewaschen, gepflegt wie meine eigenen Kinder.«
    »Aber ich bin nicht dein eigenes Kind. Ich stamme aus Livorno«, sagte Moise mit einer Spur von Genugtuung, so, als verteile er soeben die Gesetzestafeln an sein Volk. »Meine Eltern waren nur zu Besuch in Spalato, als die Pest sie holte.«
    »Was macht das schon«, weinte Lea, »an welchem Ort einen die Pest holt?«
    »Für die Kinder in der Jeschiwa macht das etwas. Sie haben alle richtige Eltern.«
    Lea sprang auf und begann Moise zu schütteln.
    »Du sagst mir jetzt, bitte, sofort, wer dieser Junge ist, der dich ständig quält. Wie er heißt und wer seine Eltern sind.«
    Moise entwand sich ihren Händen.
    »Er hat keine Eltern mehr«, sagte er dann trotzig. »Seine Mutter ist inzwischen auch gestorben. Er hat nur noch eine Großmutter, aber das ist wenigstens eine richtige.«
    »Wo kommen diese Leute her, in welche Synagoge gehen sie?«, erregte sich Lea.
    »In die spanische. Sie sind damals geflüchtet, als man die Juden in Spanien und in Portugal gezwungen hatte, zum Christentum überzutreten. Das haben wir in der Jeschiwa gelernt.«
    »Sie sind also Marranen«, sagte Lea langsam und zog dabei die Worte in die Länge, so, als bedeute es für sie eine Schwierigkeit, sie auszusprechen.
    »Aber deswegen sind sie doch nicht schlechter als wir«, sagte Moise lauernd, »oder etwa doch? Weil sie nicht in die aschkenasische Synagoge gehen wie wir. Weil sie vielleicht ein bisschen fremder sind als wir. Und nicht einmal unsere Sprache kennen.«
    »Nein, nein«, wehrte Lea betroffen ab, »natürlich sind sie genauso Juden wie wir auch. Kein bisschen anders.«
    »Aber deine Familie kam doch aus Deutschland«, beharrte Moise hartnäckig. »Sie kommen aus Portugal. Deswegen haben sie doch auch eine andere Synagoge. Und sie beten auch anders.«
    »Aber es ist der gleiche Gott, zu dem sie beten«, beeilte sich Lea zu sagen, um das Chaos in Moises Kopf nicht noch größer werden zu lassen. »Wir alle hoffen auf den Messias. Und er ist für alle da, ganz gleich, in welcher Sprache sie beten.«
    »Und woher weiß man, dass es der Messias ist, wenn jemand kommt und sagt, er sei der Messias? Er könnte doch auch lügen, oder etwa nicht?«
    Bevor Moise Lea in weitere Diskussionen über den richtigen oder falschen Messias verwickeln konnte und darüber, ob man ihn so ohne weiteres der Lüge bezichtigen durfte,

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