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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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schluckte, schob den Finger zwischen Kragen und Hals, um die Halsbinde zu lockern, aber noch immer brachte er keinen Satz über seine Lippen. Schreck sprang auf, stürzte sich auf Crestinas Hand, zerquetschte sie beinahe. »Seid uns willkommen, schönes Kind«, sagte er dann überschwänglich.
    Crestina hatte den Eindruck, kurz vor einer Ohnmacht zu stehen. Der betäubende Duft in dem kleinen Raum, die Gerüche der übrigen Gewürze, die in kleinen Schalen in den Regalen standen, der Körpergeruch dieses ungehobelten Mannes, Schreck, von dem es hieß, er wasche sich nur, wenn er zu einer Frau gehe, ansonsten sei ihm sein Geruch völlig egal. Seine Geschäftspartner wollten über Hellebarden reden und über Munition, nicht über Wohlgerüche.
    Crestina versuchte den Schleier zu zerreißen, der sich über den Raum gelegt hatte, ihre Erinnerungen waren aber nur noch vage. Sie sah sich stehen in einem nach Essig duftenden Keller, tief unter dieser Stadt Nürnberg, von Lukas Helmbrecht an die feuchte Felswand zwischen zwei Essiggurkenfässer gedrängt, eine Antwort erwartend auf sein Angebot, ihn zu heiraten. Sie sah sein vor Zorn gerötetes Gesicht näher kommen, ganz langsam, quälend, dann der plötzliche Vorstoß auf ihren Mund, wie ein Habicht, der sich in Sekundenschnelle auf sein Opfer herabstürzt. Sie sah ihre rasche Gegenbewegung, gerade noch zur rechten Zeit, sodass der Kuss verrutschte und damit keinerlei Gewicht mehr hatte. Der Kuss ihres Angetrauten, in der Luft hängend, von Essigdüften getränkt. Dann ihre Flucht, die endlosen Stufen hinauf ans Tageslicht der Stadt, ihr Würgereiz, wegen des Essigs oder dieses Habichtskusses, sie wusste es nicht mehr. Sie wusste nur noch, dass sie in eine Badstube rannte und sich ihre Haare waschen ließ, zum Befremden der Badmagd dreimal hintereinander.
    Hinter ihr begann inzwischen ein Gespräch über Streithämmer, Lunten, Wurfmaschinen, Zündschnüre, Hakenbüchsen – Worte, die wie im dichtesten Novembernebel nur noch gefiltert zu ihr durchdrangen. Dazwischen ertönte die spitze Stimme der Mutter Margaretes.
    »So viel steht fest: Solange das ›N‹ und der Adler nicht auf die Musketen gepunzt sind, sind es eben keine Nürnberger Waffen.«
    Sie nahm an, dass Lukas ihr inzwischen die Hand gereicht hatte, vermutlich widerwillig, sie hatte es kaum wahrgenommen, aber da er ihr inzwischen eine kleine Schale mit Safran unter die Nase hielt und fragte, ob sie ihn noch erkenne, musste es wohl geschehen sein. Und als sie ohne nachzudenken sagte: »Zima des Bullia«, war sie selbst über die Maßen verblüfft, dass es offenbar richtig war und Schreck Beifall klatschte.
    Die Gespräche gingen weiter. Gefälschter Safran, Essenzen, die in der ›Stufe‹ von den Huren in Venedig benutzt wurden, Hackenstahl anstelle von Kernstahl, den sich Schreck offenbar schon wieder einmal hatte andrehen lassen – es war alles wie damals: Venedig, das Sündenbabel, und Nürnberg, die ehrliche, redliche Stadt, die Luther gehörte, mit Haut und Haaren. Übergetreten von einem Tag zum anderen, die Köpfe getauscht, als habe zuvor nie etwas anderes in ihnen existiert. Crestina hatte das Gefühl, als hätten sie ihr mit diesen wenigen Sätzen das ganze verruchte Venedig wie einen Mühlstein um den Hals gehängt. Ein Mühlstein, an dem sie gewaltigen Anteil hatte, obwohl sie weder mit gefälschtem Safran noch mit Essenzen zu tun hatte, die in den Frauenhäusern benutzt wurden. Eine Erkenntnis, die sie in die Normalität zurückführte.
    »Ihr wollt Euch gewiss über Geschäfte unterhalten«, sagte sie freundlich. »Ich fürchte, ich störe hier. Ich wollte nur Margarete besuchen.«
    »Am helllichten Morgen?«, sagte Lukas' Mutter mit spärlichem Lächeln, »wir pflegen zu dieser Zeit keine Besuche zu machen. Wir machen Geschäfte.«
    Geschäfte. Es war genau diese Welt, die sie damals abgestoßen hatte. Diese Drahtzieherwelt, die aus Metall zu bestehen schien, eine eiskalte Welt. Sie erinnerte sich an den Tag, als sie Schreck kennen gelernt hatte, das zerhackte Blei vor ihnen auf dem Tisch, seine schon krankhafte Begeisterung darüber, wie diese wunderbare neue Waffe auf Menschen wirken würde und wie und wo diese Menschen dabei sterben würden.
    Lukas streckte Crestina die Hand entgegen, sagte dann mit freundlichem Gesicht, sie habe sich nicht verändert. Ein Satz, der nicht eben dazu geeignet war, ihn an Lukas zurückzugeben, bei dessen Körperumfang.
    »Ich hörte, du seist ein großer

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