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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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manchmal fast unerträglich.«
    »Den Mann, den du bei deiner Suche nach den Kammern mit der Acht kennen gelernt hast, war übrigens der Prediger, den wir geheim halten. Daher unser seltsames Verhalten. Und die Nummern des Betsaales sind einundachtzig und zweiundachtzig, deshalb die Panik. Es war ja wohl klar, dass du der Sprache nach Venezianerin bist und daher Katholikin. Und daher in jedem Fall jemand, den wir voller Misstrauen betrachten, wenn er hier in unseren Stockwerken herumschnüffelt. Den letzten Prediger, den wir hatten, hat uns die Inquisition weggeschnappt.«
    »Umgebracht?«
    »Nein, das nicht gerade«, wehrte Margarete ab, »aber er wurde des Landes verwiesen und darf nie mehr hierher kommen.«
    »Und weshalb bist du nicht in der Gemeinde?«
    »Ich bin ihnen nicht sicher genug bis jetzt, trotz meiner vollkommen astreinen Familie. Sie sind sich noch nicht im Klaren, wo sie mich einstufen sollen, ob ich fähig bin oder bereit bin – was auf das Gleiche herauskommt –, all ihre Gebote und Verbote, die sie aufgestellt haben, auch in Demut zu erfüllen.«
    »Welche?«
    »Also, du darfst, wenn du am Sonntag zum Gottesdienst in diesem Betsaal warst, mitnichten wie normale Kirchgänger in einer kleinen Gruppe hier aus dem Haus gehen und auf San Marco noch ein wenig mit Freunden zusammenstehen und dich unterhalten. Du musst einzeln den Saal verlassen, dann einzeln den Innenhof überqueren, dann einzeln brav und sittsam deinen Heimweg antreten. Alles allein. Was es sonst noch für Vorschriften gibt, habe ich vergessen, aber du darfst sicher sein, es gibt sie.«
    Crestina legte den geputzten Fisch in die Pfanne, zuckte mit den Schultern.
    »Du wirfst es ihnen vor, eigentlich müsstest du es mir vorwerfen.«
    »Dir?« Margarete nahm zwei Teller aus dem Regal, holte aus ihrem Korb einen Krug mit Wein. »Wieso?«
    »Nun, wir, diese serenissima, diese ›Heiterste‹, sie ist doch daran schuld, dass dies alles so kompliziert ist, wie du es schilderst, und –«
    »Wenn du es genau wissen möchtest, es ist noch viel komplizierter. Und noch würdeloser«, empörte sich Margarete. »Unsere Kinder, die sterben, dürfen nicht im gleichen Grab begraben werden wie die Eltern. Sie verweigern den Nichtkatholiken einen Platz in der Kirche nebenan, die für uns zuständig ist, sie wollen unsere Toten in ungeweihter Erde begraben, weil sie der Meinung sind, dass Lutheraner überhaupt keine Christen sind, sie machen …«
    Crestina starrte Margarete an, verbrannte sich dabei die Finger am Herd.
    »Tu Öl drauf«, sagte Margarete und nahm ein Tuch aus ihrem Beutel, »oder Mehl.«
    Sie verbanden Crestinas Finger, setzten sich dann an den Tisch, auf dem Crestina bereits eine Minestrone in kleine Schüsseln gefüllt hatte.
    »Wir können schon essen, der Fisch braucht ohnehin noch eine Weile«, sagte sie. »Für mich ist das alles schrecklich, ich wusste nichts von all dem.«
    »Du solltest mal diese schrecklichen Streitgespräche hören, die es fast bei jedem Todesfall hier im Deutschen Haus gibt. Natürlich gibt es auch deutsche Katholiken im fondaco, die bekommen selbstverständlich das ihnen zustehende Grab in der Kirche hier hinter dem fondaco, aber für alle Übrigen muss die Familie kämpfen. Vor einiger Zeit mussten Gräber exhumiert werden, weil kein Platz mehr auf der Insel war, die sie uns gegeben hatten, dann haben sie unsere Toten, gerade so, wie sie waren, also schon halb verwest, auf einen anderen Friedhof gelegt und sie einfach liegen lassen, ohne sie zu begraben.«
    Crestina legte den Löffel zur Seite und hielt sich den Magen.
    »Entschuldige«, sagte Margarete und legte die Hand auf den Arm der Freundin, »ich vergesse mich wieder einmal. Kein Wunder, dass sie mich bis jetzt nicht haben wollen für ihre Gemeinde, ich vergesse mich sofort, wenn ich irgendwo Unrecht wittere. Und wenn ich erfahre, dass wir Nichtkatholiken, also die Calvinisten, die Reformierten, die Lutherischen und was weiß ich noch für Andersgläubige, die es selbstverständlich auch noch gibt, nicht einmal untereinander Frieden halten können, dann ist das für mich besonders schlimm.«
    »Ihr solltet einen eigenen Friedhof haben«, sagte Crestina und goss den Wein ein, »das müsste doch eigentlich möglich sein.«
    »Das streben wir auch an, aber die Behörden brauchen Ewigkeiten, bis sie etwas erlauben. Beim Verbot sind sie rasch. Wenn ich nur denke, wie diese seltsame Behörde, diese esecutori contro la bestemmia, erst vor kurzem

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