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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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würde. Ein arlecchino.
    Die Frau erinnerte sie an ein unter dem Sattel weich gesessenes Stück Fleisch, zäh und kaum mehr genießbar, oder an eine gedörrte Pflaume, die zu lange auf der Dörre gehangen hatte. Sie stand am Fenster, die kurzsichtigen Augen zusammengekniffen über die Klinge eines Floretts gebeugt, die sie gekrümmt hatte und dann mit einem leisen Zischen zurückschnellen ließ.
    Der Mann mit der Nase in der Schüssel war Lukas Helmbrecht. Sie erkannte ihn sofort, als er den Kopf wendete, auch wenn er mit seiner früheren Figur ganz gewiss nichts mehr zu tun hatte.
    Nürnberg war gekommen.
    Ein Nürnberg, das fünf Jahre zurücklag, eine Stadt, an die sie in jüngster Vergangenheit kaum mehr gedacht hatte. Sie konnte sich noch immer nicht von dem Anblick lösen, erwog für einen kurzen Augenblick die Flucht, dann hatte Schreck sie entdeckt. Er sprang auf, machte einen Kratzfuß.
    »Soso, hier ist sie also, unsere kleine Puritanerin, Mona Crestina.«
    Im gleichen Augenblick sah sie, wie der Vorhang zu einer Nebenkammer hastig zurückgerissen wurde, Margarete kam herausgestürmt, umarmte sie, blieb mit dem Arm um ihre Schulter stehen, als wolle sie Crestina beschützen. »Meine Familie ist früher gekommen, als ich dachte«, sagte sie dann leise und schaute befremdet zu der Tür, vor der der junge Mann, der die Freundin hergebracht hatte, noch immer stand.
    »Ich hoffe, es hat alles seine Richtigkeit«, sagte er prüfend und blickte in die Runde, die ihn inzwischen verblüfft betrachtete. »Ich fand Euren Besuch im dritten Stock.«
    »Im dritten Stock?«, fragte Lukas stirnrunzelnd, »wieso im dritten Stock?«
    »Ich hatte die Nummer der Kammer vergessen«, sagte Crestina verlegen, »ich wusste nur noch, dass es vermutlich irgendetwas mit einer Acht zu tun hat.«
    Die Anwesenden blickten starr auf den Boden.
    »Ich will hoffen, dass alles seine Richtigkeit hat«, sagte Margaretes Mutter mit zusammengekniffenen Augen und bedankte sich bei dem Mann, der sich daraufhin zurückzog, »es wird gewiss nicht wieder vorkommen.«
    Sie sah zu Margarete hinüber und verzog das Gesicht.
    »Musst du dich wirklich für das Früherkommen deiner Familie in unserer eigenen Kammer entschuldigen?«, fragte sie dann spitz. »Du weißt genau, dass wir immer früher kommen als angekündigt, weil wir nur dann sehen können, ob auch wirklich gearbeitet wird. Weißt du das nicht mehr?«
    Margarete nahm Schreck das Flakon aus der Hand, stellte es in ein Regal auf das oberste Brett. »Bevor du es umwirfst und es dann wirklich bei uns wie in der ›Stufe‹ riecht. Ich bin eine ehrbare Frau.«
    »Oho, meine Nichte versucht mir beizubringen, was Sitte ist«, sagte Schreck prustend, »dabei ist sie kaum aus den Windeln heraus.«
    Crestina, die sich am liebsten gleich wieder verabschiedet hätte, blickte irritiert von einem zum anderen. Schreck nahm das Flakon wieder aus dem Regal und hielt es Crestina unter die Nase. »Riecht!«, befahl er dann.
    Crestina roch gehorsam, roch ein zweites Mal.
    »Die Engländer nennen es honeysuckle«, sagte sie dann zögernd, »Geißblatt.«
    »Honeysuckle? «, wiederholte Schreck verblüfft, »das habe ich noch nie gehört.«
    »Es ist sehr intensiv«, sagte Crestina und sah mit einem kurzen Seitenblick zu Lukas hinüber, der sie beobachtete. Sie roch ein drittes Mal, war froh, dieses honeysuckle begutachten zu dürfen, da ihr nichts einfiel, was sie nach fünf Jahren zu einem abgewiesenen Liebhaber hätte sagen können, dessen einziges tiefes Gefühl damals die Eifersucht auf ihren Bruder gewesen war.
    Wenn sie mich jetzt nach Riccardo fragen, gehe ich in der Sekunde, dachte sie.
    Aber es fragte sie niemand nach Riccardo. Es war nur wie ein Summen in einem Bienenstock, bei dem man nicht weiß, wann wer gestochen wird.
    Lukas betrachtete sie weiterhin mit starrem Gesicht, ohne ein Wort zu sagen. Er hielt die Schüssel mit dem angeblich gefälschten Safran noch immer in der Hand, suchte nach einem Platz, auf dem er sie abstellen konnte. Als Margarete ihn schließlich davon befreite, schüttelte sie den Kopf. »Es ist Crestina, lieber Bruder, wach endlich auf«, sagte sie, »falls du das vergessen haben solltest. Crestina Zibatti aus Venedig. Und man begrüßt sich auch in Venedig, wie es sich gehört, mit einem Handschlag.«
    Crestina streckte die Hand aus, versuchte, sie Margaretes Mutter entgegenzuhalten, die sie mit einem kurzen harten Händedruck aber sofort wieder entließ. Lukas Helmbrecht

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