Stadt der blauen Paläste
sprechen.
Crestina hatte sich angeboten, für diesen ersten Tag das Kochen zu übernehmen, da sie bereits einen großen Plan in der Küche aufgehängt hatten, auf dem der Wechsel der Köchinnen, der alle drei Tage stattfand, aufgezeichnet war.
»Damit sich jeder von uns auch in die Kochkunst des anderen einleben kann«, hatte sie vorgeschlagen. »Drei Religionen, drei unterschiedliche Köche, ich denke, es wird spannend werden.«
Den ersten Abend zelebrierten sie gemeinsam in der sala. Lea hatte ihr bestes Tafelleinen und Silberbesteck, das noch aus Deutschland stammte, mitgebracht, da sie die Einzige war, die einen kompletten Haushalt besaß. Margarete hatte sich für die Tischdekoration zuständig erklärt und einige ihrer Flakons mit Blumen und Gräsern gefüllt. Und Crestina hatte sich entschlossen, ihren nicht existierenden Haushalt mit einigen Teilen eines neuen Geschirrs zu beginnen, das sie je nach ihrer finanziellen Situation zu jeder Zeit vervollständigen konnte.
Und im Übrigen wollte sie in sich das Gefühl stärken, dass sie von jetzt ab so tun würde, als wolle sie für den Rest ihres Lebens in dieser casa leben. Ob allein oder nicht, war ihr für den Augenblick nicht wichtig. Sie wollte leben. Nichts als dies. Das Gefühl, dass dieses Leben ein neues Leben, ein ungewohntes Leben, sein würde, hatten sie an diesem Tag gleich mehrere Male: Keine von ihnen hatte je einen Türklopfer besessen. Und so war das Erlebnis gleich ein Dreifaches. Sie rannten alle aus unterschiedlichen Richtungen an die Haustüre, rissen sich den Griff nahezu aus der Hand und schauten dann verblüfft drei kleinen Jungen hinterdrein, die davonrannten.
»Nicht schon wieder die ›Stufe‹«, stöhnte Crestina und erzählte die Geschichte von einem ihrer ersten Besuche in diesem Haus.
Das zweite Mal war es ein junger Mann aus Murano, der weitere Glasutensilien für Margarete brachte, und beim dritten Mal ein kräftiger Mann mit einem Karren, der Leas angekaufte Bibliothek ins Haus schleppte. Sein Boot sei leider heute nicht benutzbar, entschuldigte er sich, aber morgen, morgen, sei es ganz gewiss wieder in Ordnung und er könne dann den Rest bringen. Er schleppte die Bücher in Körben in das piano nobile, trug sie von dort in den salotto und füllte damit Tische, Stühle und den Boden, sodass Lea nur die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Die Vorstellung, dass am nächsten Tag noch weitere Bücher kommen würden, erfüllte sie allerdings mit Neugier und Vorfreude, da sich darunter auch drei unterschiedliche Ausgaben der Kabbala befinden sollten, die sie zuvor noch nicht gesehen hatte.
Crestina hatte die wenigste Arbeit mit der Gestaltung ihres Raumes. Sie hatte sich im Dachgeschoss eingerichtet und brauchte außer ihren Büchern für die Übersetzungen lediglich einen großen Tisch, einige Stühle und ein Bücherregal.
Der Abend brachte für alle das entschiedene Gefühl, das Richtige getan zu haben: Lea hatte Moise erlaubt, zum Essen zu kommen. Aber bevor es dazu kam, hörten sie von der Küche her das Scheppern von irgendwelchem Geschirr und dann das pausenlose Rennen von Moise, der das androne der Länge nach durchrannte. Einmal, zweimal, dreimal. Irgendwann hatten sie das Gefühl, es müsse hundertmal sein.
»Er hat nie rennen dürfen«, entschuldigte sich Lea verlegen.
»Nie?«, wagte Margarete zu fragen. »Nie in der Galle del Forno oder in der Straße des ghetto vecchio? Oder auf dem riesigen Platz des ghetto nuovo?«
»In der calle des ghetto vecchio befindet sich der Bäcker, der Metzger, der Weinhändler, der Gasthof. San Marco ist leise dagegen. Und auf dem großen Platz des ghetto nuovo schon gleich gar nicht. Sechzig Buden, drei Banken und zwei Synagogen und hunderte von Menschen. Wo soll da ein Kind rennen dürfen?«
Also ertrugen sie Moise sanftmütig, sein Rennen und vor allem seine Beine, die sogar beim Essen nie auch nur eine Sekunde Ruhe gaben.
»Es ist, wie es ist«, sagte Lea ergeben, sie müsse es ebenfalls ertragen. Und sie sei schon glücklich, wenn sie keine Nachrichten aus der Jeschiwa hören müsse, keine von irgendwelchen Nachbarn, dass ihr Sohn schrecklich laut sei, und keine von ihrer Freundin Diana, wenn sie Moise an manchen Tagen dort unterbrachte, weil sie zu arbeiten hatte und über Land musste, um ihre Bücher anzubieten. Und schließlich sei es doch etwas Schönes, wenn man die Freude eines Kindes miterleben dürfe. Vor allem dann, da Moise sich inzwischen ereiferte und jedes Mal
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