Stadt der blauen Paläste
doch früher über die Maßen geliebt, ganze Nächte durchzutanzen.«
Crestina band eine Schleife an ihrem Kleid, die sich geöffnet hatte.
»Damals gab es einen Freundeskreis, mit dem wir zusammen waren«, sagte sie dann lahm.
»Ein Kreis von Freunden. Und Riccardo?«, fragte Margarete.
»Ein Kreis von Freunden. Und Riccardo«, bestätigte Crestina. Und dachte dabei an diese mehr als seltsame Einladung zu carnevale von dem Mann mit den gipsverschmierten Händen, von dem sie nun wusste, dass er Renzo Grimani hieß. Und es mitnichten nötig hatte, seine Meeräschen aus einem Teich zu stehlen, der ihm nicht gehörte.
Sie hatte in den vergangenen Tagen, als carnevale näher rückte, immer wieder an ihn gedacht. Hatte sich überlegt, was sie tun sollte. Hatte an einem Tag innerlich bereits zugestimmt, sich mit ihm zu treffen, am nächsten wieder mit aller Heftigkeit dagegen polemisiert. Geschämt hatte sie sich auch. Jemanden wiederzusehen, der mehr von einem wusste als ein Beichtvater, war nicht eben ein erhebendes Gefühl.
Sie hatte sich entschlossen, eine neue Übersetzung anzufangen, um sich abzulenken, aber sie hatte kaum drei Sätze geschrieben, als ihre Gedanken bereits wieder abschweiften. Sie versuchte, die Nächte zum Tage zu machen, blieb im Kaminzimmer sitzen, bis ihre Augen nahezu von alleine zufielen, aber zwischen dem einen Satz und dem nächsten sah sie Bilder von einst: den giovedì grasso, den Tag, der mit einem großen Fest auf der piazzetta vor dem Palast des Dogen begann und der der Regierung vorbehalten war – an drei Seiten des Platzes waren Tribünen für die Senatoren und die Patrizier aufgestellt, sodass für die übrigen Venezianer kaum noch ein Platz übrig blieb. Den venerdì, an dem sich die Hälfte der Bevölkerung beim ridotto vergnügte und voller Spannung die Lose öffnete, die verkauft wurden. Dann den sabato, wenn die Stadt bereits wogte wie das Wasser auf der Lagune kurz vor einem Sturm. Der Tag, an dem niemand zu Hause blieb und sich jeder unter die Masken mischte, auch wenn er nicht das Geld besaß, um für sich selbst eine Maske zu erstehen.
Und dann der domenica.
Sie hatte die Tage bis zu diesem Tag in aller Abgeschiedenheit in ihrer Kammer verbracht, hatte weder Lea, die ohnehin am Sabbat nicht in den Palazzo kam, gesehen, noch Margarete, die vom Erdboden verschwunden schien und in den Wirren des carnevale abgetaucht war.
»Such mich nicht«, hatte sie lachend zu Crestina gesagt, »und vor allem mach dir keine Sorgen. Irgendwann werde ich zurückkommen und dann wieder eine brave Geschäftsfrau sein, die sich den Künsten der Cleopatra widmet.«
In der Nacht zum domenica schlief Crestina schlecht. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich in gar keinem Fall auf dieses Treffen mit Renzo Grimani einlassen durfte, und sie hatte zugleich das Gefühl, dass sie sich auf dieses Treffen einlassen musste, dass sie nicht an ihm vorbeikam. Sie spürte, dass sie sich darauf einlassen musste, ganz gleich, was dabei geschehen würde.
Als sie am anderen Morgen erwachte, entschloss sie sich, nach Torcello zu fahren. So wie sie auch früher nach Torcello gefahren war, wenn ihr Leben in Unordnung geraten war und sie den Beistand der blauen Madonna brauchte. Sie ließ sich von einem kräftigen Mann, einem der Regattaruderer, dorthin fahren. Er hatte sie immer gerudert, wenn sie wenig Zeit hatte und genau wusste, dass ihre Kräfte nicht ausreichen würden, um die Strecke in kurzer Zeit zu bewältigen.
Nun saß sie in dem Boot, die Augen geschlossen, der Ruderer ließ sie in Ruhe. Er spürte, dass sie nicht gestört werden wollte.
Dieser Renzo hatte also Riccardo gekannt. Und er kannte sie. Er hatte mit ihr getanzt, damals in diesen wilden Nächten, in denen sie Riccardos Zorn getroffen hatte, weil er, ebenso wie dieser Salzsieder – sie nannte ihn immer nur den ›Salzsieder‹ in ihren Gedanken, weil sie dadurch etwas von ihrem Zorn aufbrauchen konnte – sie davor bewahren wollte, dass sie sich verschleuderte. Sie war wie ein aufgeschlagenes Buch für ihn gewesen, über Wochen hinweg, während sie darüber gegrübelt hatte, ob sie es sich verzeihen würde, auch nur einen Gedanken an ihn zu verschwenden.
Und sie schämte sich maßlos. Obwohl sie sich in Schutz nehmen musste, weil alles eben doch nicht ganz so vordergründig gewesen war, wie es nun schien. Bei jeder Begegnung mit anderen Männern hatte sie gemutmaßt, dass man Riccardo verdrängen wollte, ihn ihr wegnehmen wolle, und
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