Stadt der blauen Paläste
fremde Leute allein bei meinen Büchern«, murrte sie und stellte ihren Korb bereits vor der Tür ab. »Es ist kein Verlass auf dieses schlimme Kind.«
Als Lea eintrat, stellte sie fest, dass sich das Paar sogar bis in Abrams Hinterstübchen verirrt hatte und der Mann soeben eines der alten Bücher aus dem Regal zog, um es der Frau zu zeigen. Aber bevor sie noch einen zornigen Satz aussprechen konnte, wandte der Mann sich um und kam lachend auf sie zu. »Samson«, flüsterte Lea verblüfft, »ich habe dich kaum mehr erkannt.«
»Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Samson schmunzelnd, »du kennst ja auch nicht einmal meine Frau.«
Die Frau erhob sich schwerfällig von dem Schemel und hielt Lea die Hände zum Gruß entgegen. Lea umarmte sie, schüttelte weinend den Kopf und lachte schließlich. Und dann redeten alle durcheinander, übertrumpften sich gegenseitig mit ihren Neuigkeiten. Lea erfuhr, dass Samson ihre Ankunft schon vor zwei Monaten mitgeteilt hatte, der Brief aber vermutlich verloren gegangen war.
Dann rief Samson die Kinder von der Straße, und sie stiegen alle miteinander die steile Stiege empor.
»Es ist eng bei uns«, sagte Lea entschuldigend, aber die junge Frau lachte.
»Ihr hättet sehen sollen, wie eng es bei uns war. Es blieb uns nur noch die Flucht, als das zweite Kind unterwegs war.«
Samson korrigierte, dass es ganz gewiss nicht nur die Enge der Wohnung gewesen war, die sie zur Flucht getrieben hatte, sondern hundert andere Dinge, über die man reden müsse. Das Ghetto in Venedig sei ein Hort des Friedens gegenüber dem Serraglio in Rom.
Später dann, in aller Ruhe, wehrte Lea ab und verschwand in der Küche. Jetzt sei sie in Eile für das Essen. Samsons Frau half ihr dabei, trotz ihrer Schwerfälligkeit und Leas Widerstand, die sich jedoch nicht genug darüber freuen konnte, dass nun bald wieder ein kleines Kind in ihrer Wohnung sein würde, auch wenn es dann noch enger werden würde.
»Wir waren zu sechst, als wir alle beieinander waren«, erklärte sie, »und wir werden wieder sechs sein, wenn das Neugeborene erst bei uns ist. Und wenn ein drittes Kind kommen will, ziehen wir ganz einfach auch eine Zwischendecke ein, wie man es hier überall macht.«
Samsons Frau wehrte lachend ab und meinte, dass Samson zunächst einmal dafür sorgen müsse, dass sie zu dritt satt würden. Ob der Teppichhandel, den er in Rom notgedrungen betrieben hatte, hier überhaupt noch sinnvoll sei, müsse man erst noch sehen.
Die Kinder spielten unterdessen zwischen den Schlafbänken, und Moise schien mit der neuen Spielgefährtin voll und ganz einverstanden zu sein.
»Ich kann ihr das Lesen beibringen«, sagte er stolz und hüpfte zu Lea in die Küche, »sie war noch in keiner Jeschiwa.«
»Sie ist ja auch mehr als ein Jahr jünger als du«, erklärte Lea, »aber du hast nun jemand, auf den du Acht geben und den du behüten kannst.«
Moise nickte eifrig, holte aus seiner Spielkiste einen Beutel mit Kieselsteinen hervor, den er bisher noch nicht einmal Lea gezeigt hatte.
Sarah bewunderte die bunten Steinchen, ließ sie über ihre Hände rinnen, und hielt einen der Kiesel, einen blauen mit einer wunderschönen Maserung, an ihre Brust.
»Es sieht schön aus«, sagte sie bewundernd.
Moise schluckte und füllte die Steinchen wieder in ihren Beutel.
»Sie sind kein Schmuck«, sagte er dann leise. »Ich wollte sie eines Tages auf das Grab meiner Eltern legen, du weißt ja, auf den Grabstein. Aber es gab keine Grabsteine. Weil sie in der Pestzeit gestorben sind.«
»Grabsteine?«, fragte Sarah verwundert, »ich kenne auch keine Grabsteine. In Rom legt man die Toten unter die Erde, in Katakomben.«
»Ohne Steinchen?«, wunderte sich Moise ungläubig und drückte seinen Schatz an sich.
»Ich glaube schon«, antwortete Sarah und holte ein kleines Bündel aus dem Flur. »Ich habe auch Schätze.«
Sie knüpfte das Tuch auf und zog ein festliches Kleid hervor.
»Mein Kleid für Purim«, sagte sie stolz, »ich darf die Esther spielen in diesem Jahr, hat meine Mama gesagt.«
»Dann spiel ich den König Salomon«, entschied Moise.
»Im letzten Jahr war Purim langweilig, weil ich nie mit den großen Jungen spielen durfte.«
Als es kurze Zeit später an die Haustüre klopfte und einer der Jungen vom oberen Stockwerk fragte, ob er zum Spielen komme, schüttelte Moise den Kopf.
»Ich habe jetzt jemand zum Spielen, eine Schwester. Und ich habe jetzt nicht mehr so viel Zeit für euch«, sagte er dann mit
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