Stadt der blauen Paläste
erhobener Stimme und ließ den verblüfften Jungen vor der Tür stehen. Als er zu Sarah zurückkam, öffnete er zum zweiten Mal seinen Beutel mit den Kieselsteinen und nahm den blau gemaserten heraus.
»Ich schenke ihn dir«, sagte er dann leise. »Ich brauche ihn jetzt nicht mehr.«
Lea, die dem Gespräch durch die geöffnete Küchentür gelauscht hatte, atmete sichtbar auf.
Die folgenden Tage verbrachte Leas Familie damit, Pläne zu schmieden, wie Samson es am besten anstellen könne, sich eine neue Existenz aufzubauen. Lea war gegen den Teppichhandel, seine Frau schlug vor, sie könne für die Bima Stickereiarbeiten machen, was sie in Rom auch getan hätte. Lea sagte, dass der Schammes in der Synagoge der Aschkenasim fehle, aber Samson wehrte ab und sagte, das sei das Letzte, was er machen wolle. Er wolle sich eher um die Pilger bemühen, die zu ihrer Reise ins Heilige Land hier in Venedig an Bord gingen. Aber jetzt war es Lea, die sofort die Hände über dem Kopf zusammenschlug, weil sie fürchtete, der Umgang mit den Pilgern könne unglückseligerweise auch Samson und seine Familie anregen, dorthin zu gehen. Und ein Sohn genüge für dieses Heilige Land. Ob Aaron je wieder zurückkehre, sei fragwürdig.
23. Zypern – Die Frau des Salzhändlers
Die Stadt war zu dieser frühen Stunde des Morgens eine Stadt der Arbeitenden. Noch nie hatte Crestina, wenn sie zu dieser Zeit unterwegs gewesen war, eine der kleinen Gondeln gesehen, in denen gerade zwei Menschen Platz hatten, von denen der eine stets eine Frau war, die eine Maske trug, um nicht erkannt zu werden von ihrem Tun der Nacht.
Nun also, nachdem sie sich dem Rialto näherte, quoll der Kanal über von Lastkähnen, die das Gemüse von den Inseln brachten, das Obst, die Kräuter, die Hühner und das Wildbret, falls es nicht selber von den Jägern über der Schulter angeschleppt wurde. Ein langes Boot, dessen Name sie nicht kannte – ihr Diener hatte früher einmal gesagt, dass es mindestens zwanzig unterschiedliche Arten von Booten gab –, hatte lange Baumstämme geladen, die vermutlich für den Häuserbau verwendet wurden; ein anderes war voll gestopft mit den unterschiedlichsten Möbeln, und wieder ein anderes versuchte sich mit schier rücksichtsloser Geschwindigkeit zwischen dem Gewimmel hindurchzuschlängeln und war vermutlich zu einem Kranken gerufen worden. Der Mann trug einen spitzen roten Hut, war also mit Sicherheit ein Arzt aus dem Ghetto.
Sie zwängte sich zwischen den Menschen auf der Brücke hindurch, hielt ihren Korb fest an sich gepresst, blickte hinüber zum fondaco, aus dem soeben ein kleiner Zug von deutschen Kaufleuten mit schwer beladenen Eseln aufbrach. Sie ging die schmale calle entlang, die auf dem kürzesten Weg nach San Marco führte, hörte eine Glocke läuten, die die Gläubigen zum Gebet rief.
Sie wollte diese Messe besuchen, obwohl sie natürlich ohne weiteres und ohne Umweg die Kirche in ihrem Sprengel hätte besuchen können. Aber sie mochte den Pfarrer nicht, die Kirche nicht, die Bilder nicht und am liebsten wäre sie ohnehin nach Torcello gefahren, zu ihrer blauen Madonna. Aber sie war unsicher, ob sie dann noch rechtzeitig ans Ziel gekommen wäre. Und sie glaubte nicht einmal daran, dass die Madonna ihr die Unsicherheit hätte nehmen können für das, was sie vorhatte. Eine Tat, die so unsinnig war wie keine andere, für die sie sich je zuvor in ihrem Leben entschieden hatte.
Aber nun hatte sie sich entschieden. Nicht halb, sondern ganz. Sie hatte sich entschieden, mit diesem Renzo Grimani über die Meere zu fahren, ohne jeglichen Zeitplan, ohne jegliche Sicherheit, was mit ihr unterwegs geschehen würde. Dass das Unternehmen auch genauso gut bereits am ersten Tag, wenn ein Sturm kam, beendet sein konnte, wollte sie erst gar nicht in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Es gab genug anderes, worüber sie nachzudenken hatte. Zuvorderst natürlich darüber, ob das Schiff überhaupt an diesem Tag auslief, zu dieser Stunde auslief. Und natürlich, ob diese lose, dahingesagte Einladung, sie könne mitfahren, überhaupt noch galt.
Sie hatte sich nicht abgesichert, hatte nicht gefragt, als was sie auf diesem Schiff mitfahren würde. Schließlich konnte der Schiffseigner sie ebenso gut als Matrose in die Wanten schicken und ihr versuchen zu erklären, dass es noch zu diesem verrückten carnevale gehörte, bei dem man ein anderer wurde. Und selbstverständlich konnte er ihr ebenso gut anbieten, seine Mätresse zu werden.
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