Stadt der Engel
Zeit. Er, Norman, war korrekt gekleidet, Anzug, Krawatte auch an diesem sehr heißen Tag im Winter, blaue Amphibienaugen, weißes, akkurat gescheiteltes Haar, ein ziemlich kleines, immer noch straffes Gesicht. Man hätte ihn nicht für einen Schauspieler gehalten. Das änderte sich sofort, als er anfing zu sprechen. Seine Stimme trug immer noch, seine Anekdoten untermalte er mit gut dosierten Gesten, er mußte mir dringlich erzählen: Er habe mit Brecht gearbeitet. Er war einer der Betreiber des Theaters in Beverly Hills, in dem die zweite Fassung des »Galilei« uraufgeführt wurde. Er wußte Geschichten aus den Proben mit Laughton, nicht ganz stubenrein, mit Begeisterung präsentierte er sie mir: Wie Laughton als Galilei bei der Generalprobe, die Hände in den tiefen Taschen seines weiten Gewandes, »was playing with his genitals«. Wie daraufhin Brecht ihm, Norman, telefonisch die Weisung erteilte, Laughton davon abzubringen, was er, Norman, verweigerte, auch als Helene Weigel sich Brechts Aufforderung anschloß. Das könne er nicht machen. Am nächsten Tag aber, vor der Vorstellung, sah man einen wütenden Laughton die Garderobiere verfolgen, die beteuerte, nicht schuld zu sein: Die Taschen waren von Galileis Kittel entfernt. Und wissen Sie, fragte Norman, wer für die Kostüme verantwortlich war? Helene Weigel!
O madam, sagte er, wie dankbar wir euch sind, daß ihr uns diese ganze deutsche Kultur hierhergeschickt habt! Was fürMänner und Frauen! Brecht. Feuchtwanger. Thomas Mann. Heinrich Mann. Hanns Eisler. Arnold Schönberg. Bruno Frank. Leonhard Frank. Franz Werfel. Adorno. Berthold Viertel. Undsoweiter undsoweiter. O madam, what a seed! Und das beste an ihnen: Ihr Sinn für Humor. Wie hat man mit denen lachen können! Eisler zum Beispiel, Normans Nachbar an der Küste von Malibu, erlitt einmal einen Kreislaufkollaps, sie wurden von der bestürzten Lou Eisler herbeigerufen, Eisler lag auf der Erde, ich fragte ihn, sagte Norman: Hi, what is it. How are you feeling!, darauf er: Als ob tausend Kröten auf meiner Zunge kopulieren würden. Der kann nicht lebensgefährlich krank sein, sagten wir uns.
Norman bewunderte immer noch Brechts Auftritt vor dem McCarthy-Ausschuß und die Aussage Eislers, der die Denunziation anderer abgelehnt hatte mit der Bemerkung: They are my colleagues.
Die Gäste waren versammelt, man rief uns zu Tisch. Das Haus, in dem Arnold Schönberg, den sein Schüler Eisler sehr verehrte, fünfzehn Jahre gelebt hat, wird jetzt von seinem Sohn Ronald und dessen Frau Barbara bewohnt. Man tritt in einen Wiener Salon ein: Hier hat sich nichts verändert! rief Norman aus. Man bekommt Rindssuppe mit Grießnockerln serviert, Tafelspitz mit Karotten und verschiedenen Saucen und endlich einmal gekochte Kartoffeln, und zum Nachtisch natürlich Sachertorte mit Schlagobers und Erdbeeren. Man wird vor eine Vitrine geführt, in der Frau Barbara die wenigen Andenken an ihren Vater, den aus Österreich emigrierten Komponisten Eric Zeisl, aufbewahrt, mit Wehmut spricht die Tochter im Haus des berühmten Schwiegervaters davon, daß ihr Vater vergessen sei.
Ich erinnere mich, daß ich es gegen Ende des Dinners wagte, die Rede auf den Streit zwischen Thomas Mann und Schönberg zu bringen, wegen der von Schönberg scharf kritisierten Verwendung von Elementen der Schönbergschen Zwölftonmusik im 22. Kapitel des »Doktor Faustus«. Ob dieser Streit am Ende wirklich beigelegt gewesen sei. Nun ja, sagten die SöhneSchönbergs, die beiden hätten ja diese Briefe gewechselt, sich also sozusagen verständigt. Ob sie sich danach getroffen hätten. Kopfschütteln. Frau Barbara, die versöhnliche: Schönberg sei ja schon 1951, also kurz danach, gestorben.
Noch einmal wurden die Gründe aufgezählt, warum Schönberg vom »Doktor Faustus« so erzürnt gewesen war, die Söhne berichteten, auch der Nachspruch in den späteren Auflagen des Buches habe den Vater verletzt. Beide Fassungen, die deutsche und die englische, wurden herbeigebracht und von Barbara vorgelesen. Übrigens habe Schönberg sogar gesagt, wenn Thomas Mann mit ihm gesprochen hätte, so hätte er extra für ihn und für dieses Buch ein Stück komponiert.
Unvermutet mußte ich mich an diesem Abend noch streiten mit einem Germanistikprofessor, der den »Doktor Faustus« als »Allegorie auf den NS-Staat« bezeichnete. Ich mußte darauf bestehen, daß es sich um eine viel tiefergehende Deutung deutschen Wesens aus der Geschichte und der Verstrickung deutscher
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