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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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würde. Nicht daß sie das vergleichen wolle, soviel nur zu unseren trügerischen Sicherheiten.
    IM stand da, ich habe es nicht glauben wollen. Der Körper glaubte es sofort, das Herz fing an zu trommeln, ich war in Schweiß gebadet, Katastrophenalarm, Fluchtreflexe, gerne wäre ich gelaufen bis an den Rand der Welt. Ist Santa Monica der Rand der Welt?
    O yes, sagte Sally. So gesehen schon.
    Nützt aber nichts. Weglaufen nützt nichts, alte Volksweisheit. Sich stellen nützt auch nichts. Ich weiß nicht mehr, was ich als erstes dachte, als die Denkblockade sich löste. Was ich als erstes fühlte, ohne Worte, weiß ich noch, in Worte übersetzt hieß es: Das kannst du jetzt niemandem sagen. Ich hatte keinen Zweifel, daß ich erst einmal schweigen würde, wie ich nicht daran zweifelte, daß das falsch und auf Dauer unnütz war, und um dir das zu erklären, Sally, müßtest du die Atmosphäre bei uns damals miterlebt haben. Den ersten Schub der Hexenjagd hattest du hinter dir, einer deiner Texte, der einen Tag deines Lebens unter Kontrolle beschreibt, hatte Anlaß gegeben, dir eine Anmaßung zu unterstellen, an die du im Traum nicht gedacht hättest. Ich hätte einen neuen Schub jetzt nicht ausgehalten, Sally. Wieder einmal stand ich vor der Wahl zwischen zwei Unmöglichkeiten und wählte die, die mich im Augenblick scheinbar weniger verletzte.
    So machen wir’s doch alle, sagte Sally und seufzte. Aber warst du denn überhaupt verpflichtet, darüber zu reden.
    Genau das fragte ich mich auch, sagte ich, als ich mir wieder Fragen stellen konnte, und meine Antwort war: Nein. Nein, sagte ich mir, ich war nicht verpflichtet, darüber zu reden. Übrigens hatte ich Angst.
    Das darfst du dir hier nicht anmerken lassen, sagte Sally. Wenn sie wittern, daß einer Angst hat, fallen sie über ihn her. Wie die wilden Tiere, sag ich dir.
    The overcoat of Dr. Freud, fiel mir ein. Ich wünschte, er könnte mich schützen.
    Im Gegenteil, sagte Sally. Er ist doch dazu da, dir deinen Selbstschutz wegzuziehen.
    Im Traum fuhr ich eine wüste Straße entlang auf dem Oberdeck eines verrotteten Lastwagens, es war mir anscheinend aufgegeben, daß ich die Ladung auf dem Oberdeck abtragen sollte, um auf die eigentliche Ladefläche zu gelangen, das war sehr schwierig, fast halsbrecherisch während der schütternden Fahrt, endlich gelang es mir doch, ich war auf der Ladefläche,aber die war zu meiner Enttäuschung vollkommen leer. Ich erwachte in der Finsternis mit einem Gefühl von Trostlosigkeit, das durch den Traum allein nicht zu erklären war, und es überraschte mich nicht, daß ich mich jetzt, mitten in der Nacht, fragte: Was tue ich eigentlich hier. Dem Hochgefühl der ersten Wochen hatte ich mich beinahe gierig überlassen, hatte es beinahe bewußt vermieden, mir darüber Rechenschaft zu geben, hatte es, wenn ich es jetzt recht bedachte, als etwas Verdientes hingenommen, ohne daß dieses Wort mir eingefallen wäre, dachte ich, die milde kalifornische Nachtluft tief einatmend, die durch das große offene Fenster hereinkam, gefiltert wie alle Luft in allen Räumen durch die dichten Maschen des Fliegenfensters, Abwehr jeglichen Getiers, das etwa die sauberen immunisierten Innenräume verunreinigen, schlimmer: unsicher machen könnte. Der unstillbare Drang der Amerikaner nach Sicherheit.
    Aber was wußte ich von den Amerikanern. Ich sollte mir zugestehen, daß ich Heimweh hatte, ich lauschte in mich hinein, bereit, den Heimwehschmerz zu empfinden, doch er kam nicht auf, er ließ mich im Stich, die Ladefläche ist leer, dachte ich mit einem kleinen selbstspöttischen Lachen.
    Warum hatte ich kein Heimweh, das war doch unnatürlich, ein fremdes Land, dachte es in mir. Ich hatte nicht noch einmal in einem großen Deutschland leben wollen, dachte es weiter, unvernünftig, aber Nachtgedanken haben eine andere Färbung als Taggedanken, vor allem kennen sie alle Schleichwege und undichten Stellen, durch die sie ins Bewußtsein eindringen können, das wehrt sich, aber schwach, mit Gegenfragen, die ich kannte, bis zum Überdruß kannte. Ob ich denn dieses kleinere Deutschland auf Dauer wirklich vorgezogen hätte, mit all seinen Mängeln, ach was, mit seinen Gebrechen und Fehlern, mit dem Keim des Untergangs, den ich doch seit langem schon gespürt hatte. Ich war wieder gut in Fahrt, in ausgefahrener Spur, ich mußte nur noch stillhalten und Rede und Gegenrede in mir gewähren lassen, nichts Neues würde ich erfahren, aberder Schlaf würde mich fliehen,

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