Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
und rollte es zusammen.
Jim nahm den Leichnam vom Tisch, warf ihn sich über die Schulter und trug ihn hinaus.
Ich ging zu der Tiefkühltruhe zurück. Ich hätte die sterblichen Überreste der Menschen gern begraben, aber wir hatten weder die Zeit noch die Mittel dafür. Ich nahm ein Lederbeutelchen von meinem Gürtel und streute ein dunkelgrünes Pulver daraus über das Fleisch, wobei ich darauf achtete, das Pulver weder zu berühren noch einzuatmen.
»Eine Würzmischung?«, fragte Jim vom Eingang.
»Wasserschierling.« Ich steckte den Beutel wieder ein. »Eine halbe Stunde nach Einnahme kommt es zu krampfhaftem Erbrechen und dann zum Tod infolge einer Atemlähmung. Ein kleiner Beitrag meinerseits zu ihren Tafelfreuden.«
Jim ging wieder nach draußen, packte den vierarmigen Freak, warf ihn sich über die Schulter und sah ostentativ zu den übrigen drei Leichen hinüber, die ausgestreckt im Gras lagen. Sie waren unsere Beweismittel. Ich würde eine davon tragen müssen. Entweder das über zwei Meter große schuppige Monster oder das grüne Wesen mit dem Nadelkleid oder den Typ, dem sie das Fleisch aus Rücken und Hintern herausgeschnitten hatten. Hm, mal überlegen …
Kapitel 20
A m helllichten Tag Leichen durch die Gegend zu schleppen, gar Leichen mit vier Armen, lief dem, was man gemeinhin unter »keine Aufmerksamkeit erregen« versteht, auf geradezu brachiale Weise zuwider, zumal die beiden Typen, die die Leichen schleppten, von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt waren und aussahen, als wären sie gerade durch eine Hecke geschleift worden. Verschärfend kam hinzu, dass es sich bei dem einen der beiden um einen Werjaguar in Zwischengestalt handelte und bei der anderen um eine Frau, die eine Leiche trug, der man den Hintern tranchiert hatte.
Glücklicherweise waren die Randgebiete von Unicorn Lane verwaist. Man hätte ohnehin ein Vollidiot sein müssen, um sich allen Ernstes dorthin zu wagen. Anscheinend herrschte in Atlanta gerade ein gewisser Mangel an Vollidioten, und so schienen Jim und ich an diesem Tag die Einzigen zu sein, die bescheuert genug waren, so etwas zu bringen.
Selbst mit halbem Hintern und Rücken wog Saimans Opfer immer noch mindestens eine Tonne. Wir schafften es ohne größere Schwierigkeiten aus dem Dschungel hinaus in städtische Gefilde, aber ihn quer durch Unicorn Lane zu dem Fahrzeug zu tragen, ging dann doch fast über meine Kräfte. Ich war in einen tranceartigen Zustand verfallen, in dem es einzig und allein darum ging, immer wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen. Anschließend erinnerte ich mich nur noch vage daran, wie wir an der Stelle angekommen waren, an der wir den Jeep zurückgelassen hatten, und dort stattdessen einen Karren fanden, vor den zwei Pferde gespannt waren. Der Dingo musste mit den Pferden wiedergekommen sein, als die Woge der Magie über die Stadt gebrandet war. Doch leider war er selbst nicht dort geblieben.
Ich erinnerte mich, wie wir die Leichen auf die Ladefläche luden und mit einer Plane bedeckten, und wie ich mich dann auf den Kutschbock, na ja, schwang, da Jim als meistgesuchter Mann des Rudels im Verborgenen bleiben musste. Dann folgte die Fahrt quer durch die Stadt im morgendlichen Berufsverkehr. Die Schmerzen in der Seite und am Rücken hielten mich dankenswerterweise wach. Eine Schicht Dschungeldreck hatte sich mit dem Reaper-Blut auf meiner Haut vermischt, und die Herbstsonne buk daraus eine schöne Kruste auf meinem Gesicht und meinem Haar. Immerhin blieb es mir erspart, in irgendeinem Stau stecken zu bleiben. Wenn die anderen Fahrer das mit Blut verkrustete Gespenst erblickten, in das ich mich verwandelt hatte, beeilten sie sich, mir den Weg frei zu machen.
Und so fuhr ich dahin und dachte an Roland.
Ich hatte keine Mutter gehabt. Stattdessen hatte ich Voron meinen Vater genannt. Er war ein großer Mann mit dunklem, stets kurz geschnittenem Haar, und er hatte mich mit seiner Ruhe und seiner Kraft durch meine Kindheit begleitet. Voron vermochte alles zu töten, alles zu klären, alles zu reparieren. Und ich unternahm alles, um ihm ein rares Lächeln zu entlocken. Er war mein Vater, eine der beiden Konstanten in meinem Leben.
Die andere war Roland.
Roland trat in einem Märchen in mein Leben, das Voron mir vor dem Zubettgehen erzählte. Es war einmal ein Mann, der Jahrhunderte überdauert hatte. Er war Baumeister gewesen, Handwerker, Heiler, Priester, Prophet, Krieger und Magier. Er war Sklave gewesen – und Tyrann. Die Magie
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