Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
Händen in der Tür. Sie gab mir einen und ließ sich zu meinen Füßen nieder. Ich trank. Es war heißer Tee mit Zitrone. Ich hatte ihr beigebracht, wie man das machte, und offenbar war doch ein bisschen was von meiner Erziehung hängen geblieben.
»Was soll denn der Käfig?«, fragte sie und wies auf ein Loch im Boden, in dem schwach schimmernd Gitterstäbe aus Stahl und Silber zu erkennen waren. »Ich wäre da fast reingefallen.«
»Das ist ein Loup-Käfig. So etwas gibt es in jedem Gestaltwandlerhaus – für alle Fälle.« Falls Derek zum Loup wurde, wollten Jim und Doolittle ihn sofort einsperren können. Das war eine Vorstellung, mit der ich mich lieber gar nicht befasste. Und schon gar nichts, worüber ich mit Julie sprechen wollte.
»Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?«, fragte sie leise.
»Hm?«
»Derek und du. Wie habt ihr euch kennengelernt?«
Darüber wollte ich eigentlich auch nicht sprechen. Aber es war immer noch besser, als sich gänzlich der Verzweiflung zu ergeben. »Ich war damals auf der Suche nach Gregs Mörder. Der Orden hatte mir die letzte Akte gegeben, an der er vor seinem Tod gearbeitet hatte, und ich hatte seine Schritte nachvollzogen und wollte herausfinden, weshalb er ermordet worden war. Die Akte führte mich zum Rudel. Mir war das damals noch nicht klar, aber Greg hatte sehr eng mit dem Rudel zusammengearbeitet. Zwischen den Gestaltwandlern und ihm herrschte ein Vertrauensverhältnis. Sie wussten aber überhaupt nichts über mich, und ich wiederum wusste nichts über sie. Ich wusste einzig und allein, dass Greg von Klauen in Stücke gerissen worden war.«
Ich trank einen Schluck Tee. »Ich hatte ja Kontakt zu Jim – wir hatten bei der Söldnergilde zusammengearbeitet – , und Jim erzählte Curran von meinen Ermittlungen. Curran wollte erfahren, was ich wusste, und ließ Jim ein Treffen zwischen uns beiden arrangieren. Und zwar ausgerechnet in Unicorn Lane. Und es verlief nicht besonders gut.«
Julie schnaubte leise. »Wundert mich nicht.«
»Ja. Im Nachhinein ist mir klar, dass es ein Test war. Seine pelzärschige Majestät wollte mal sehen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin, und da habe ich es ihm gezeigt.« Ich zuckte die Achseln. »Man lernt nie aus … « Sehr, sehr viele Schwierigkeiten hätten sich vermeiden lassen, wenn ich mich nicht damals in der Dunkelheit gebückt und »Miez, Miez, Miez!« gerufen hätte.
»Und was geschah dann?«
»Anschließend lud mich das Rudel zu einer Versammlung ein, um diese Dinge in etwas größerer Ausführlichkeit zu besprechen. Du hast ja erlebt, wie sie mit Außenstehenden umgehen. Erst mal zubeißen – entschuldigen kann man sich später immer noch. Sie brachten mich mitten in der Nacht in ihre Festung und führten mich in diesen unterirdischen Saal. Als ich hineinkam, stand ich da mit einem Mal Hunderten Gestaltwandlern gegenüber, die alle nicht sonderlich froh waren, mich zu sehen.«
»Hattest du Angst?«
»Ich hatte Angst, es zu verbocken. Mir war zu diesem Zeitpunkt schon klar: Wenn ich das Rudel nicht dazu brachte, mit mir zusammenzuarbeiten, würde das alles für mich sehr viel schwieriger. Ich war ja eigentlich nur eine völlig unbekannte Söldnerin, und jetzt verhandelte ich plötzlich mit dem Oberhaupt des Volkes und dem Herrn der Bestien – die natürlich in einer ganz anderen Liga spielten als ich.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Julie leise. »Man tut sein Bestes und kommt sich dennoch vollkommen bescheuert vor. Alle scheinen irgendein Geheimnis zu kennen, das man selbst nicht kennt, und das macht sie zu etwas Besserem, als man selbst es ist.«
Ich strich ihr mit der Hand über das strähnige Haar. »Ist es wirklich so schlimm in der Schule?«
»Ja, manchmal schon. Meistens ist es okay. Aber es gibt da fiese Leute, und die machen fiese Sachen, und wenn man sie fragt, was das denn soll, tun sie so, als wäre man einfach nur zu blöd, um es zu kapieren.« Sie ballte die Fäuste und sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Die machen mich so wütend. Wenn wir auf der Straße wären, würde ich ihnen eine reinhauen. Aber wenn ich sie schlagen würde, würde das ja nur bedeuten, dass ich nach ihren bescheuerten Regeln nicht gegen sie gewinnen kann.«
»Na, dann weißt du ja ganz genau, wie es mir damals ging.« Schläge austeilen, das hätte ich auch gekonnt. Schläge austeilen war einfach. Es war eher das ewige neckische Geplänkel und das gegenseitige Bärenaufbinden, das mich verschiedentlich fast
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