Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
bauschte sich dramatisch. Eine Gruppe von etwa zwanzig Kindern stand in beachtlichem Abstand von den Zielscheiben fürs Bogenschießen, die nahe der Außenmauer aufgestellt waren. Vier der Kinder richteten gerade ihren Bogen auf eine der Scheiben, und die übrigen warteten in der Nähe einer riesigen Ulme, beaufsichtigt von einem großen Mann in einem Kettenpanzer und einer kleineren, dunkelhaarigen Frau. Citlalli. Ausgezeichnet.
Als die Kinder uns erblickten, wurden sie schlagartig still. Ich entdeckte ein blondes Mädchen, das für ihre dreizehn Jahre immer noch zu klein und zu dünn war. Meine Julie. Sie stand allein und etwas abseits der Gruppe.
Wir hielten abrupt vor den Schülern. Marcus tänzelte unter mir, gar nicht froh darüber, dass er innehalten sollte. Ich gab mir alle Mühe, mordsgefährlich zu wirken. Und Raphael machte neben mir ein finsteres Gesicht. In seinen Augen zeigte sich ein gieriges rotes Leuchten. Die Jungen erbleichten. Und die Mädchen mühten sich tapfer, nicht in Verzückung zu verfallen.
Julie erwachte schließlich aus der Erstarrung, in die sie bei unserem Anblick verfallen war, und drängte sich zu mir durch.
Ich richtete meinen strengsten Blick auf sie. Sie zuckte zusammen.
»Das Messer«, befahl ich.
Sie langte unter ihre Kleidung und zog eins meiner schwarzen Wurfmesser hervor. Mist, verdammter. Ich hatte sie neulich erst nachgezählt und hätte schwören können, dass keins davon fehlte. Inständig hoffend, dass Marcus stillhalten würde, nahm ich ihr das Messer aus den Fingern, wirbelte im Sattel herum und warf es – und das alles in einer einzigen fließenden Bewegung. Das Messer schlug bis halb zum Heft in den Stamm der Ulme ein und blieb darin stecken. Jemand schnappte hörbar nach Luft.
»Du kriegst es wieder, wenn du deinen Abschluss gemacht hast.«
Julie kapierte, worum es mir ging. »Jawohl, Ma’am.«
Sie hatte mich Ma’am genannt. Nun rechnete ich damit, dass sich jeden Moment das Himmelsgewölbe auftat und die vier Reiter der Apokalypse hervorgeprescht kamen. Doch aus irgendeinem Grunde blieb das aus.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass du geplappert hast.«
»Es tut mir Leid, Ma’am.«
»Muss ich dich daran erinnern, dass du dem Orden gegenüber eine Geheimhaltungsverpflichtung unterschrieben hast?«
Julies Gesicht war ein Inbild der Reue.
»Es war deine Entscheidung, diese Schule zu besuchen. Wenn ich noch ein einziges Mal höre, dass du geheime Informationen offenbart hast, nehme ich dich von dieser Schule runter und stecke dich in die Akademie des Ordens. Das geht schneller, als du Papp sagen kannst. Verstanden?«
»Jawohl, Ma’am.« Julie stellte sich kerzengerade hin.
»Und jetzt kommst du mit.«
»Soll ich meine Sachen holen?«
»Nein, dazu haben wir keine Zeit. Das Rudel braucht dringend unsere Hilfe.« Derek brauchte dringend unsere Hilfe.
Das war Raphaels Stichwort, sich aus dem Sattel zu schwingen, was ihm mit atemberaubender Anmut gelang. Dann trat er vor Julie hin und nickte ihr zu, was aber eher wie die Andeutung einer Verneigung wirkte. »Julie. Der Herr der Bestien lässt fragen, ob es dir gut geht.«
Julie antwortete mit einem ausgesprochen höflichen Knicks. »Ja, es geht mir gut. Danken Sie seiner Lordschaft bitte dafür, dass er sich nach mir erkundigt hat.«
»Du kannst ihm selbst danken. Er wird hoch erfreut sein, dich zu sehen.«
Raphael bückte sich und hielt ihr eine Hand hin. Julie verstand sofort. Sie stellte einen Fuß in seine Hand und ließ sich von ihm hinter mich aufs Pferd hieven. Dann schlossen sich ihre dünnen Arme um meine Taille.
Dann nahm Raphael ein wenig Anlauf und sprang auf seine Stute. Wir rissen unsere Rösser herum und preschten davon, durchs Tor und den Weg hinunter. Als wir hinter der nächsten Kurve waren und man uns selbst von den Mauern der Schule aus nicht mehr sehen konnte, verfielen wir in ein gemächlicheres Tempo.
»Das war obercool«, sagte Julie atemlos.
»Das sollte dein Standing ein bisschen verbessern. Aber ab jetzt bist du auf dich allein gestellt. Ich kann nicht jedes Mal, wenn einer mies zu dir war, wie aus dem Nichts auftauchen und vor deinen Klassenkameraden eine Show abziehen. Wenn dich ab jetzt jemand fragt, was geschehen ist, sagst du mit ganz ernstem Gesicht, dass du nicht darüber sprechen darfst. Die Leute können es nicht ertragen, wenn jemand etwas weiß, das sie nicht wissen. Das wird sie verrückt machen.«
Sie schmiegte sich an mich. »Danke.«
»Ich brauche aber
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