Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
Gestaltwandler war es hochgradig giftig.
»Du bist nicht hochrangig genug, um mehr zu erfahren, und daher werden sie dir auch nicht mehr verraten«, sagte Andrea. »Aber zum Glück hast du ja mich. Also, diese spezielle Legierung ist sehr alt und für Gestaltwandler sehr giftig. Du weißt ja, wie hoch meine Silbertoleranz ist. Und ich kann es nicht einmal anfassen, Kate. Erinnerst du dich noch an die Abmachung, die wir während des Flairs getroffen haben?«
»Ja.« Wir hatten vereinbart, dass ich dem Orden niemals offenbaren würde, dass sie ein Tierabkömmling war, und dass sie niemals offenbaren würde, dass ich genug Informationen über Roland besaß, um den Orden in einen kollektiven Herzinfarkt zu treiben.
»Es gibt nur eine Person, die Zugang zu größeren Mengen dieser Legierung hat. Es ist eine ganz spezifische Zusammensetzung. Nämlich … «
»… etwa fünfundfünfzig Prozent Gold, fünfundvierzig Prozent Silber, drei Prozent Kupfer und der Rest irgendwelche Verunreinigungen.«
»Genau.«
Elektron aus Samos, aus Münzen, die im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung auf einer kleinen griechischen Insel in der Ägäis geprägt worden waren. Mir blieb beinahe das Herz stehen. Die Logik konnte einpacken, und meine Paranoia trug den Triumph davon.
»Dann weißt du ja wohl, was das bedeutet«, sagte sie.
»Ja. Vielen Dank«, sagte ich.
»Pass gut auf dich auf.«
Roland. Er war der Einzige, der einen großen Vorrat antikes Samos-Elektron besaß. Er hatte es zweifellos zur sparsamen Verwendung vorgesehen, wollte daraus vielleicht Kugeln oder Pflöcke herstellen lassen, stattdessen hatten die Rakshasas es in größeren Mengen eingeschmolzen, nur um es Derek ins Gesicht gießen zu können. Ganz schön dumm.
Roland war der Sultan des Todes. Wenn ich mich weiter gegen die Rakshasas stellte, war eine Konfrontation mit seinen Schergen unausweichlich. Und damit würde meine Existenz aufgedeckt.
»Geht’s dir gut?«, fragte Dali.
»Mir ging’s nie besser«, sagte ich.
Wut kochte in mir hoch. Wenn er mich entdeckte, würde ich bis zum bitteren Ende gegen ihn kämpfen, mit allem, was ich besaß, genau wie meine Mutter. Mir hing diese ewige Paranoia und Panik zum Halse raus. Es war ein irrationaler, ja komplett schwachsinniger Gedanke, aber ich schwelgte darin.
Jim kam die Treppe herauf. »Er ist jetzt ansprechbar.«
Ich ließ meinen Kaffee stehen und lief die Treppe hinunter.
Kapitel 24
E r saß auf einem Bett, die Beine unter einer blauen Decke. Er war in seiner Menschengestalt und hatte wieder seine normale Hautfarbe angenommen. Sein Haar war immer noch dunkelbraun. Doch das war so ziemlich das Einzige, was von dem alten Derek noch übrig war.
Sein Gesicht hatte sein Ebenmaß eingebüßt. Die einst so markanten, klaren Linien waren nun sehr vergröbert. Seine Züge hatten, vom Mund bis hinauf zum Haaransatz, etwas Hartes angenommen, und sein ganzes Antlitz erschien ein wenig ungleichmäßig, als wären die gebrochenen Knochen nicht wieder glatt miteinander verwachsen. Wenn er zuvor in eine Kneipe gekommen war, hatte immer irgendjemand gepfiffen und ihn mit seinem guten Aussehen aufgezogen. Nun aber würden die Leute stattdessen betreten in ihre Gläser starren und einander zumurmeln: »Den haben sie aber echt durch die Mangel gedreht.«
Er hob den Blick. Samtige dunkle Augen sahen mich an. Sonst hatte hinter der ernsten Fassade des Rudelwolfs meist der Schalk aufgeblitzt. Davon war nun nichts mehr zu sehen.
»Hallo, Kate.«
Seine Lippen bewegten sich, doch ich brauchte einen Augenblick, ehe ich die leise, heisere Stimme mit der aus Dereks Mund in Verbindung brachte.
»Beschädigte Stimmbänder?«, fragte ich.
Er nickte.
»Ein bleibender Schaden«, sagte Doolittle leise. Dann verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich. Nun war ich mit Derek allein.
Ich ließ mich auf der Bettkante nieder. »Jetzt hörst du dich wie ein richtig fieser Profikiller an«, bemerkte ich.
»Ja, mir gefällt es auch.« Er lächelte. Die Wirkung war grauenvoll.
»Gibt’s irgendwo eine Stelle, wo man dich boxen darf?«
»Hängt davon ab, wer boxt.«
»Ich.«
»Dann nicht.«
»Bist du sicher? Da hat sich viel aufgestaut in den letzten Tagen.« Mir brach die Stimme. Ich rang um Fassung.
»Ja, ich bin mir sicher.«
All meine Schuldgefühle, all meine Sorgen, aller Kummer und alle Reue – alles, was ich in den vergangenen Tagen in den hintersten Winkel meines Selbst gestopft hatte, damit ich
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