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Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Titel: Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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erwehren und um den Tod ihrer Rudelkameraden zu rächen. Sie kämpfen, um ihre Kinder zu beschützen, denn ohne diese Kinder gibt es keine Zukunft. Und wofür kämpfst du?«
    Er zauste sich die eh schon zerzausten Haare. »Eine Zukunft habe ich sowieso nicht. Ich kämpfe, weil ich ein Abkommen mit Morrigan habe. Ohne den Nebel würde ich altern und schließlich sterben.«
    »Und wäre es so schlimm, wenn du altern würdest? Willst du denn gar kein richtiges Leben haben?«
    Er grinste höhnisch. »Wenn ich ein richtiges Leben hätte haben wollen, hätte ich nicht darum gebeten, ein Held zu sein. Wenn ich schon sterbe, will ich voller Saft und Kraft sterben, mit einem Schwert in der Hand und während ich die Leiber meiner Feinde aufschlitze. So sollte ein Mann sterben.«
    Ich seufzte. »Mein Vater hat als Kriegsherr bei einem überaus mächtigen Mann gedient. Dieser Mann nannte ihn ›Voron‹, was Rabe bedeutet, denn der Tod folgte ihm auf dem Fuße. Voron war im Kampf unbesiegt. Wäre er Kriegsherr geblieben und hätte er das Heer, das er aufgebaut und ausgebildet hatte, auch geführt, so hätte die Welt heute ein anderes Gesicht.«
    »Und die Moral von der Geschichte?«
    »Er hat das alles meinetwegen aufgegeben.« Wegen eines Kindes, das gar nicht sein eigen Fleisch und Blut war.
    »Dann war dein Vater ein Narr, und dann weiß ich jetzt, warum auch du eine Närrin bist.«
    Ich schloss die Augen. »Mit dir kann man einfach nicht vernünftig reden. Lass mich jetzt schlafen.«
    Ich hörte ihn vom Geländer hüpfen und neben mir landen, und dann stupste er mich mit einem Finger an der Schulter.
    »Ich versuche das zu verstehen.«
    Ich schlug die Augen wieder auf. Meinen Moralkodex zu erklären war wirklich nicht gerade meine Stärke. »Stell dir vor, du wirst von Wölfen gejagt. Du rennst durch den Wald, keine Siedlung in Sicht, und dann liegt da ein Baby, ganz allein auf dem Boden. Rettest du das Baby, oder lässt du es liegen, obwohl die Wölfe gleich kommen?«
    Er zögerte einen Moment lang. »Ich lasse den kleinen Scheißer da liegen«, verkündete er, ein bisschen zu laut. »Der hält die Wölfe auf.«
    »Du hast kurz gezweifelt.«
    Er hob die Hände, aber ich schüttelte den Kopf. »Ich hab’s genau gesehen. Du hast gezweifelt. Du hast einen Moment lang darüber nachgedacht. Und das, was diesen Zweifel ausgelöst hat, ist es, was uns in den Kampf ziehen lässt. Und jetzt lass mich in Ruhe.«
    Ich kuschelte mich unter die Decke und machte die Augen zu. Der Wind strich mir sacht übers Gesicht und streichelte mich schließlich in den Schlaf.
    Derek weckte mich ein paar Stunden später. Ich sah zum Himmel hinauf. Die Sonne stand hoch. Es war Mittagszeit.
    Ich wollte nicht sterben.
    Derek guckte grimmig. »Jim will unten was mit dir besprechen.«
    Er führte mich ins Erdgeschoss und hielt mir eine Tür auf. Ich betrat einen kleinen Raum. Jim saß dort auf einem Stuhl und fuhr mit dem Daumen an der Klinge des Messers entlang, die ich ihn auf der Krankenstation hatte schärfen sehen. Vor ihm auf dem Boden saß Red. Er war völlig verdreckt. Sein linkes Auge war rot zugeschwollen. Eine kräftige Kette führte von der Verankerung an der Wand zu der Stahlmanschette, die er um den Hals trug. Wenn man dem Rudel auf den Keks ging, hatte man schlechte Karten, denn die brauchten keine Hundeführereinheit, um einen zu finden.
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an. Er war erst fünfzehn Jahre alt. Das war keine Entschuldigung für den Verrat an Julie, aber es hielt mich davon ab, all die Dinge zu tun, die ich sonst in dieser Situation getan hätte.
    Red sah mich mit seinem unversehrten Auge an. »Wenn du mich schlagen willst – mach doch.«
    Ich lehnte mich an die Wand. Bei der kleinsten Bewegung von mir duckte er sich und hielt sich die Hände schützend vor den Kopf. »Wieso hast du mir das mit dem Halsband nicht gesagt?«
    »Weil du es dann geklaut hättest.« Er bleckte die Zähne. »Es war meins. Meine Macht! Meine Chance!«
    »Weißt du, was mit Julie geschehen ist?«
    »Ja, das weiß er«, sagte Jim.
    »Fühlst du dich denn überhaupt nicht verantwortlich?«, fragte ich.
    Er wich vor mir zurück. »Was willst du denn, dass ich jetzt sage? Soll ich hier rumheulen, wie leid es mir tut? Ich hab mich um Julie gekümmert. Ich hab zwei Jahre lang für sie gesorgt. Sie war mir was schuldig, klar? Die hatten ihre Krallen an meinem Hals. Hier!« Er zeigte mit seinen schmutzigen Fingern auf seine Kehle. »Die

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