Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
die Fensterbank.
Hinter der Fensterscheibe erstreckte sich eine verwaiste Straße in die Dunkelheit. Ich legte den Riegel um und schob das Fenster hoch. Darunter an der Außenmauer befand sich ein schmaler, eigentlich nur ornamentaler Sims.
Bran erschien aus dem Nichts direkt vor mir auf dem Fenstersims. Er hielt mit beiden Händen meine Hände fest und drückte sie auf die Fensterbank. »Hallo, mein Täubchen.« Er grinste mich an. »Jetzt schau dir das mal an: Du hast dein hübsches Messerchen nicht in der Hand, und ich halte dir die Hände fest. Was machst du jetzt?«
Ich rammte ihm meine Stirn vor die Nase.
»Au!« Er verlor das Gleichgewicht, ließ mich los und ruderte mit den Armen, und ich hielt ihn an der Jacke fest, als er schon drauf und dran war abzustürzen. Dabei strichen meine Finger über das vertraute Plastikpäckchen. Es war unglaublich.
Ich zerrte ihn ins Zimmer herein und riss ihm das Päckchen mit den Landkarten aus dem Bund seiner Lederhose. Von dieser Anstrengung wurde mir so schwindelig, dass ich fast in die Knie gegangen wäre. Ich hielt mich mit viel Mühe aufrecht und knurrte: »Du hast schon wieder die Landkarten geklaut? Bist du von einem Todeswunsch getrieben?«
Er schnäuzte sich, und es kam Blut. »Ich fass es nicht. Jetzt hast du mir heute schon das zweite Mal die Nase gebrochen. Dafür bist du mir was schuldig.« Und damit sprang er auf und stürzte sich auf mich.
Und wurde davon aufgehalten, dass Slayers Spitze seine Brust berührte. Ich war geschwächt, aber immer noch flink. »Wer bist du? Was machst du hier? Wer ist der Kapuzentyp? Wieso will er Julie haben? Und wo ist Julies Mutter?«
»Wäre das dann alles?« Er wischte sich mit dem Handrücken Blut vom Mund.
»Ja. Nein. Wieso ist dieser Kessel dabei so wichtig? Wo ist er hin? Was hat Morrigan damit zu tun? Wohin gehst du, wenn du verschwindest? Und wieso klaust du immer wieder diese Landkarten? So, das wäre alles.«
Er schob die Brust ein klein wenig vor. »Ich sehe schon, du willst nicht nur meinen Körper. Du begehrst mich auch meines Geistes wegen. Was denn für ein Kapuzentyp?«
»Weißes Gewand, Tentake l … «
Seine Augen leuchteten auf. »Ich mache dir einen Vorschlag. Du legst die Landkarten da aufs Bett. Dann zählen wir bis drei, und dann versuchen wir beide, sie zu ergreifen. Wenn du gewinnst, verrate ich dir, wer das ist. Und wenn ich gewinne, kriege ich dich.«
»Mich?«
Er zwinkerte mir zu. »Süße Schleife übrigens.«
Ich sah an mir runter. Na klar, mein Bademantel war aufgegangen. Jetzt wusste die ganze Welt von der kleinen Schleife an meinem Slip.
Ich zog den Bademantel zu. »Du kriegst mich? Für wie lange? Für immer?«
Er betrachtete mich mit abschätzigem Blick. »Nichts für ungut, aber so scharf bist du nun auch wieder nicht. Andere Mütter haben auch noch schöne Töchter. Eine Nacht ist genug.«
Das musste ich ihm lassen: Einer Frau gleichzeitig zu schmeicheln und sie zu beleidigen erforderte schon ein gewisses Talent. »Und du löst dich nicht einfach in Luft auf und greifst dann nach den Karten?«
Er hob die Hände. »Versprochen.«
»Schwöre mir bei Morrigans Namen, dass du dich an diese Abmachung hältst, wenn ich gewinne.«
Es war ein Test. Ich sah genau hin, wie er reagierte, und siehe da: Er zögerte. Morrigans Name hatte für ihn Gewicht, und das bedeutete wahrscheinlich, dass sie seine Schutzgöttin war.
»Ich schwöre bei Morrigan, dass ich mich an die Abmachung halten werde.« Er sprach den Namen Morrigan seltsam aus – vermutlich war es die korrekte Aussprache.
Ich warf Slayer aufs Bett, ließ das Schwert dabei keinen Moment aus den Augen, und legte die Landkarten auf die Bettdecke. »Jetzt treten wir beide jeweils drei Schritte zurück.«
Wir taten es, er in die Mitte des Zimmers, ich zur Wand und zum Stuhl hin.
»Bei drei. Eins«, sagte er und beugte sich vor wie ein Sprinter. »Zwei.«
Er stürzte auf die Karten zu. Ich griff den Stuhl und schlug ihn damit nieder. Er ging zu Boden. Ich schlug noch einmal zu, nur zur Sicherheit, stieg dann über ihn hinweg und nahm mir die Karten. »Gewonnen.« Und wenn das Zimmer nun auch noch aufgehört hätte, sich um mich zu drehen, wäre alles bestens gewesen.
Er stöhnte, und ein Sturzbach ordinärster Verwünschungen brach aus ihm hervor.
»Dein Problem ist, dass du mich unterschätzt, weil ich eine Frau bin.« Ich stupste ihn mit der Fußspitze an. »Also, wie heißt der Kapuzentyp?«
»Bolgor, der Hirte, von den
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