Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
sie könnten nichts dagegen unternehmen. Du versprichst ihnen, dass du deine Tante in Zukunft wegschließen wirst. Du versuchst sie zu bestechen. Du zeigst auf deine Kinder und erzählst, wie sehr sie die alte Dame lieben. Du weinst. Du flehst. Aber es nützt alles nichts.« Ich trank mein Glas aus. »Und so ist das, wenn man für den Orden arbeitet.«
Der Buchhalter schenkte sich einen Cognac ein und trank das Glas auf einen Zug aus. »Ist das wirklich so geschehen?«
»Ja.«
»Und sie haben die alte Dame getötet?«
»Ja.«
»Großer Gott.«
»Wenn dein Neffe der Meinung ist, er wäre zu so etwas in der Lage, dann sollte er sich bei der Akademie bewerben. Er ist jetzt im richtigen Alter. Das Ganze ist körperlich sehr anstrengend, und man muss büffeln wie ein Blöder, aber wenn er wirklich Bock drauf hat, wird er es schon schaffen.«
»Woher weißt du das?«
Ich nahm den Stapel Formulare vom Tresen. »Als ich ein kleines Mädchen war, hat mein Vormund mich dort angemeldet. Er war ein Wahrsager des Ordens.«
»Echt? Und wie lange hast du es da ausgehalten?«
»Zwei Jahre. Und ich war eine gute Schülerin, in allem, bloß nicht, was die Konditionierungen anging. Ich habe ein Autoritätsproblem.« Ich verabschiedete mich mit einem Winken und wechselte mit meinem Papierkram an einen der Tische im Foyer.
In Wahrheit war ich keine gute Schülerin gewesen. Sondern eine sehr gute. Ich hatte die Prüfungen mit Auszeichnung bestanden und war zum Knappen der Stufe Elektrum ernannt worden. Aber ich hatte es gehasst. Der Orden verlangte bedingungslose Hingabe, doch ich verfolgte bereits ein anderes Ziel. Ich wollte den mächtigsten Mann der Welt töten, und wenn man solche Ambitionen hegt, bleibt für andere Dinge nicht mehr viel übrig. Ich brach die Ausbildung ab und begann für die Söldnergilde zu arbeiten. Greg brach es das Herz.
Greg war ein fabelhafter Vormund gewesen und hatte alles darangesetzt, mich zu beschützen. Und für Greg war der Orden etwas, das Sicherheit bot. Wenn der Mann, auf den ich es abgesehen hatte, von meiner Existenz erfahren hätte, hätte er mich umgebracht, und weder Greg noch ich hätten die Macht besessen, etwas dagegen zu unternehmen. Zumindest noch nicht. Wenn ich mich aber dem Orden angeschlossen hätte, hätten mich all die Ritter vor dieser Gefahr beschützt. Doch das war es nicht wert, und daher hatte ich dem Orden Lebwohl gesagt und nie mehr zurückgeblickt.
Doch dann war Greg ermordet worden. Um seinen Mörder zu finden, war ich zum Orden gegangen und hatte mich in die Ermittlungen eingeschaltet. Und ich hatte den Mörder gefunden und zur Strecke gebracht. Im Zuge dieser scheußlichen Affäre war meine Akademie-Akte wieder aufgetaucht und der Orden auf den Trichter gekommen, dass sie mich wiederhaben wollten. Sie dachten sich einen Job für mich aus – Verbindungsperson zwischen Söldnergilde und Orden – und boten mir eine ganze Menge an: Gregs Büro, seine Akten, die Befugnis, mich um kleinere Fälle zu kümmern, ein festes Gehalt. Ich sagte zu. Ein Grund war mein schlechtes Gewissen: Nachdem ich die Ausbildung an der Akademie abgebrochen hatte, war ich Greg aus dem Weg gegangen. Ein anderer war der gesunde Menschenverstand: Ich hatte sowohl für das Haus meines Vaters in der Nähe von Savannah als auch für Gregs Wohnung hier in Atlanta Hypothekendarlehen abzuzahlen. Eins der beiden aufzugeben hätte sich angefühlt, als hätte man mir ein Stück aus meinem Körper herausgerissen. Die Jobs für die Gilde waren lukrativ, aber ich war nur für ein kleines Revier nahe Savannah zuständig, und dort ergab sich nur alle paar Monate mal so ein Auftrag. Die Verlockung regelmäßiger Einkünfte erwies sich einfach als zu stark.
Meine Zugehörigkeit zum Orden sollte keine Dauereinrichtung werden. Doch bis jetzt lief alles rund. Ich war mit keiner meiner beiden Zahlungsverpflichtungen im Rückstand, und sobald ich diese Formulare ausgefüllt hatte, konnte ich wieder ein, zwei Monate lang meine Rechnungen bezahlen.
Nachdem ich zehnmal meine Söldnerausweisnummer auf allen möglichen Papieren vermerkt hatte, kam ich in den Genuss eines Fragebogens, bei dem ich nur »Ja« oder »Nein« anzukreuzen brauchte. Ja, ich hatte in Notwehr gehandelt. Nein, ich fand nicht, dass es bei der Überwältigung des Verdächtigen zu übertriebener Gewaltanwendung gekommen war. Ja, ich hatte den Eindruck gehabt, dass der Verdächtige eine Gefahr für mich und andere darstellte. Als ich dann bei dem
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