Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
cool. Und sie riecht gut. Es wird schon alles gut gehen.«
Offenbar musste man neuerdings an den Leuten schnuppern, um festzustellen, ob sie was taugten. »Woher willst du das wissen?«
Er zuckte die Achseln. »Du musst mir halt einfach mal vertrauen.«
Angesichts des Umstands, dass mir die beiden Männer, die ich am meisten geliebt und bewundert hatte, in den charakterbildenden Jahren meiner Kindheit unablässig eingetrichtert hatten, dass ich mich einzig und allein auf mich selbst verlassen konnte, war das mit dem Vertrauen leichter gesagt als getan. Ich machte mir Sorgen um Julie. Und ich machte mir Sorgen um Julies Mom. Seit ich den Job als Verbindungsperson des Ordens hatte, hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, gelegentlich im Büro des Quästors des Ordens vorbeizuschauen, da ich so gut wie nichts über Ermittlungsarbeit wusste und er, der früher mal bei der Kripo gewesen war, sich bestens damit auskannte. Dort hatte ich einige interessante Informationsbrocken aufgepickt, und daher wusste ich auch, dass bei Ermittlungen aller Art die ersten vierundzwanzig Stunden von entscheidender Bedeutung waren. Je mehr Zeit danach verstrich, desto kälter wurden die Spuren. In einem Vermisstenfall hieß das, dass die Chancen, die vermisste Person zu finden, mit jeder Stunde weiter schwanden.
In diesem Fall waren die ersten vierundzwanzig Stunden längst verstrichen. Auch die ersten achtundvierzig Stunden winkten mir schon zum Abschied zu. Keine der üblichen Vorgehensweisen half in diesem Fall weiter: das Klinkenputzen in der Nachbarschaft, die Vernehmung von Zeugen, Ermittlungen, ob jemand ein Interesse am Verschwinden der betreffenden Person hatte – das alles brachte in diesem Fall überhaupt nichts. Und die einzigen Zeugen wurden ebenfalls vermisst.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wohin Julies Mom verschwunden war. Aber ich hoffte sehr, dass sie sicher wieder heimkehrte. Ich hatte auf ihrem Küchentisch einen Brief hinterlassen, in dem ich erklärte, dass ich Julie mitgenommen hatte und dass sie in Sicherheit sei, und in dem ich Julies Mom bat, sich mit dem Orden in Verbindung zu setzen. Doch bis sie wieder auftauchte, blieb mir weiter nichts zu tun, als am Schwanz des einzigen Anhaltspunktes zu zupfen, den ich hatte – der Kessel und Morrigan –, und zu hoffen, dass sich am anderen Ende dieses Schwanzes kein frauenfressender Tiger befand.
Wir bogen nach links auf den Centennial Drive und folgten Ghasteks Vampir. Links ragte eine grüne Wand empor und versperrte die Sicht. Vor der Wende war das ein ganz normaler Park gewesen, mit einer großen, von Wegen durchzogenen Rasenfläche. Die mit viel Bedacht gepflanzten Bäume hatten dort nur in dafür vorgesehenen Bereichen gestanden. Damals konnte man vom Belvedere aus das ganze Parkgelände überblicken, vom großen Kinderareal bis hin zum Springbrunnen der Olympischen Ringe.
Mittlerweile jedoch gehörte der Park den Hexenzirkeln der Stadt. Die Hexen hatten dort schnell wachsende Bäume gepflanzt, und ein undurchdringlicher grüner Wall schützte die Mysterien des Parks vor neugierigen Blicken und diebischen Fingern. Der Park war auch größer geworden, viel größer sogar. Er hatte sich etliche Straßenzüge einverleibt, auf denen früher Bürogebäude gestanden hatten.
Die Tatsache, dass sich so viele Hexenzirkel zusammengetan hatten, um diesen Park zu erwerben, hatte mich immer verwundert. Wenn man Vampire lenkte, gehörte man dem Volk an, und wenn nicht, unterbreiteten sie einem bald ein sehr überzeugendes finanzielles Angebot, auf dass man bei ihnen unterschrieb. Wenn man ein Söldner war, gehörte man der Gilde an, da man von der gildeneigenen Krankenversicherung und dem Rechtsschutz profitieren wollte. Doch wenn man eine Hexe war, gehörte man zu einem Zirkel, der normalerweise aus allerhöchstens dreizehn Mitgliedern bestand. Hexen besaßen außerhalb ihrer einzelnen Zirkel keinerlei Organisation. Ich hatte mich immer gefragt, was die einzelnen Hexenzirkel miteinander verband. Jetzt wusste ich es: das Orakel.
Es traf sich doch ausgezeichnet, dass Saiman so high von der Magie war. Nicht auszudenken, wie viel ich unter normalen Umständen für diese Information hätte blechen müssen. (Mal abgesehen davon, dass es unter normalen Umständen natürlich nie und nimmer zu diesem ganzen Schlamassel gekommen wäre.)
Die Stadt hielt ein wenig Abstand zum Park, aber auch nur ein wenig. Auf der anderen Straßenseite waren die Ruinen abgetragen worden,
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