Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
dahinter Deckung suchen. Perseus, der Medusa schließlich den Kopf abschlug, hatte einen verspiegelten Schild besessen. Ich hatte nichts dergleichen. Ich dachte kurz an Slayers Klinge, aber die spiegelte nicht, also Pustekuchen.
Die Frau wandte sich um und ging in den Sonnenschein davon. Ich folgte ihr.
Der Kopfsteinpflasterweg verlief in sachter Schlangenlinie. Das schwarze Kleid der Hexe fegte ihn beim Gehen. Die Maske reichte ihr um den Kopf herum, wie ein bizarrer Motorradhelm, und so bekam ich von ihr nur einen schmalen, dunklen Streifen Hals zu sehen.
Beiderseits des Wegs erstreckte sich ein großer Kräutergarten: Blumen und Gräser wuchsen in separaten Beeten, die in der Ferne von einer dichten Hecke umfriedet waren. Basilikum, Schafgarbe, Minze, roter Mohn, weißer Holunde r … Die Hexen mussten das Gelände nie verlassen, um auf die Suche nach Wildpflanzen zu gehen. Die meisten Zirkel nutzten bei ihren Ritualen immer wieder die gleichen Pflanzen. Da war es doch ausgesprochen praktisch, wenn diese gleich an ihrem Treffpunkt wuchsen.
Ich meinte mich zu erinnern, dass sich hier früher eine große Rasenfläche befunden hatte, doch nun ragten hinter dem Kräutergarten Bäume empor, Hartriegel und Eichen, schwer mit Louisianamoos behangen. Die Bäume sahen viel zu alt aus, als dass sie auf ausschließlich natürliche Weise gewachsen sein konnten. Ich wusste nicht, woher die Erinnerung an diese Rasenfläche stammte, aber ich erinnerte mich daran. Und auch an Springbrunnen. Hier waren Wasserstrahlen aus dem Boden emporgeschossen.
Und ich erinnerte mich an eine Frau. Eine sehr große Frau, die viel lachte. Ihr Gesicht aber sah ich nur noch sehr verschwommen vor mir.
Derek rümpfte die Nase. Ich sah zu ihm hinüber.
»Ein Tier«, sagte er. »Ein seltsames.«
»Welche Art?«
»Weiß ich nicht genau.«
Wir ließen die Bäume hinter uns und kamen auf eine große Lichtung, in deren Mitte sich ein Hügel erhob. Er ähnelte einem Kurgan, einem Hügelgrab, und ragte wie ein riesiger Pilzhut aus dem grünen Untergrund hervor. Kudzu und Gräser umschlossen den Hügel wie ein grüner Schleier, doch an der Kuppe kam das Gestein zum Vorschein: glatter, dunkelgrauer Marmor, von Malachitadern durchschossen und goldfarben gesprenkelt.
Wenn ich ein so schönes Marmorgewölbe gehabt hätte, hätte ich es, glaube ich, nicht so zuwuchern lassen.
Die Möchtegernmeduse schritt einmal um den Hügel herum und blieb dann stehen. Wir hielten ebenfalls. Ghastek schickte seinen Vampir auf die Hügelkuppe hinauf, dort hockte er dann inmitten der Kudzupflanzen.
Derek nieste.
»Gesundheit.«
Er nieste noch einmal, nahm eine kleine Feldflasche von seinem Gürtel und spülte sich damit die Nasenlöcher.
Unsere Führerin wartete. Wir standen bei ihr. Eine sachte Brise versetzte die Baumkronen in Bewegung. Vögel trällerten. Die Sonne, sehr amüsiert ob unserer Gegenwart, gab sich große Mühe, uns zu grillen.
Dann sprang der Vampir mit einem Mal hoch empor und landete drei Meter hinter uns. Derek knurrte. Und nieste noch einmal.
Ein Grollen lief durch die Erde. Ich wich zurück.
Der mit Gras bewachsene Boden brach in ganzen Soden auf. Der Hügel erbebte und hob sich – höher und immer höher. Ein riesiger brauner Kopf tauchte unter dem Kudzu auf, von Hautlappen umgeben. Zwei Augen glotzten mich an, schwarz schimmernd wie Anthrazit.
Eine Schildkröte.
Ich nahm an ihr nicht das kleinste bisschen Magie wahr. Und es roch auch nicht nach brennenden Gräsern, die Illusionen hervorriefen. Es war tatsächlich eine lebendige Schildkröte.
Ihr riesenhaftes Maul tat sich auf. Ich machte mich bereit, nun in ganze Wolken von Schildkrötenmundgeruch gehüllt zu werden, doch aus ihrem Maul roch es nach gar nichts. Die Mutter aller Schildkröten legte einfach nur ihr Kinn ins Gras und hielt dann diese Pose.
Ja, okay, jetzt hatte ich alles gesehen.
Unsere Führerin verneigte sich und wies in den Schildkrötenschlund.
»Da rein?«
Sie nickte.
»Wir sollen in die Schildkröte hineingehen?«
Erneutes Nicken.
»Die ist aber lebendig.«
Nicken.
»Nein«, sagte Derek und musste wieder niesen.
»Ich muss sagen, das ist schon ziemlich ungewöhnlich.« Ghasteks Stimme bebte vor Aufregung. Es ist leicht, sich darauf zu freuen, dass man etwas erkunden kann, wenn man dabei keine Gefahr läuft, verschlungen zu werden.
Ich sah zu dem Vampir hinüber. »Wie schnell könntest du sie zerfleischen, falls sie versucht, uns zu fressen?«
»Der
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