Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
Gestalt. Die kam durch den Schnee auf mich zu, wuchs dabei und wandelte sich weiter, zu schnell, als dass man es hätte verfolgen können, und schließlich schlang mir ein Mann einen Arm um die Taille und zog mich an sich.
Er war groß, von ebenmäßiger Gestalt und muskulös wie eine römische Statue. Der goldene Lichtschein von innen heraus, der auch schon die Blondine illuminiert hatte, ließ auch seine Haut erglühen. Das Haar, tiefrot mit goldenen Strähnen, fiel ihm ganz glatt bis auf die Hüfte. Sein Gesicht war kantig und maskulin, und sein Lächeln hatte etwas hinreißend Sarkastisches. Er kam mir ganz nah, und ich sah ihm in die Augen. Sie waren orange. Ein leuchtendes, strahlendes Orange, mit hellgrünen Flecken darin, die beinah aussahen wie Eiskristalle an überfrorenen Fensterscheiben.
Ihr Blick hatte nichts Menschliches.
»Kate«, sagte er noch einmal und zog mich enger an sich. Er war ein ganzes Stück größer als ich. Schneeflocken wirbelten um uns herum. Sein Atem duftete nach Honig. »Ich bin so froh, dass du mich besuchen kommst. Ich bin schon fast umgekommen vor Langeweile.«
Das war’s. Der Flair hatte ihn in den Wahnsinn getrieben.
Ich versuchte mich von ihm zu lösen, doch Saiman hielt mich fest. Er hatte ungeahnte Kräfte in den Armen. Wenn ich mich allzu sehr gewehrt hätte, wäre Derek Amok gelaufen. Eine Frau, die sich gegen die Umarmung eines nackten Mannes sträubte, der offenkundig viel schwerer und kräftiger war als sie, weckte leicht die Beschützerinstinkte der Anwesenden, selbst wenn sie durch keinen Bluteid an sie gebunden waren.
»Derek, geh bitte runter in die Wohnung und warte am Fenster auf mich.«
Er blieb reglos stehen.
»Eifersüchtig?« Saiman lachte.
Ich riss mich lange genug von seinem Blick los, um zu Derek hinüberzusehen. »Bitte, geh.«
Ganz langsam, als würde er aus einem Traum erwachen, machte er kehrt und verließ das Dach.
»Und was ist mit dem Vampir?«, fragte Saiman.
»Beachten Sie mich gar nicht«, sagte Ghastek. »Ich bin eigentlich weiter nichts als eine Fliege an der Wand.«
Scheißkerl.
Saiman berührte mein Haar, und ich spürte, wie sich mein Zopf ganz von selbst löste. Mein Haar fiel herab und rahmte mein Gesicht ein. »Was ist mir dir geschehen?«, fragte ich.
Sein Grinsen wurde noch breiter. »Die Flut der Magie. Sie geht mir durch Mark und Bein. Spürst du es nicht?«
Doch, ich spürte es. Es ging mir ebenfalls durch und durch. Die Macht drehte und wandte sich in mir, wollte sich losreißen, doch ich hatte sie schon so lange in Schach gehalten, dass ich mich nicht ausgerechnet jetzt von der Leine lassen würde.
»Kannst du tanzen?«, fragte er.
»Ja.«
»Tanz mit mir, Kate!«
Und so drehten wir uns durch den Schnee und wirbelten mit den Füßen glitzernde Schneeflocken auf. Und der Schnee legte sich nicht wieder, sondern folgte jeder unserer Bewegungen wie ein zarter Schleier. Es war ein wilder, schneller Tanz, bei dem Saiman führte, und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
»Ich bräuchte ein paar Informationen«, sagte ich in einem taktisch klugen Moment.
Er packte mich bei der Taille, hob mich hoch, als wäre ich leicht wie eine Feder, und wirbelte mich herum. »Dann frag.«
»Das ist zu verzwickt für so einen schnellen Tanz.«
Er setzte mich wieder auf der Schneedecke ab und hielt mich nun in klassischer Paartanzpose, eine Hand um meine Taille gelegt und mit der anderen meine Finger berührend. »Dann tanzen wir halt langsam. Leg den Arm um mich.«
Nein ! »Ich glaube, das wäre keine so gute Idee.«
Nun drehten wir uns in sachterem Tempo durch den Schnee. »Seltsame Wesen verfolgen mich.« Das entsprach zwar nicht so ganz der Wahrheit, aber in Anbetracht der Umstände musste ich mich hier kurz fassen. »Sie werden Kampfschnepfen genannt. Es sind Untote. Sie können einen mit ihren Haaren einfangen wie mit einem Lasso.«
»Keine Ahnung. Nie gehört.«
»Sie werden von einem großen Wesen gelenkt, das ein weißes Gewand trägt, so wie ein Mönchshabit. Dieses Wesen hat Fangarme. Er heißt Bolgor, der Hirte. Man hat mir gesagt, er sei ein Formorier.«
»Den kenne ich auch nicht.«
Verdammt noch mal, Saiman. »Was würde ein Meeresdämon in unserer Welt wollen?«
»Was wir alle wollen. Leben.« Saiman kam noch näher, seine Lippen strichen beinahe über meine Wange. Seine Blicke drohten mich zu verschlingen, und ich wusste, wenn ich ihm zu lange in die Augen sah, würde ich gänzlich vergessen,
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