Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
sagte er.
Das kam unerwartet. »Wieso das?«
Er schenkte mir das, was er wohl für sein geheimnisvolles Lächeln hielt. Der Anblick erinnerte an einen Grizzlybären, den man gerade aus dem Winterschlaf gerissen hatte. »Ich habe meine Gründe. Folgendes könnte ich für Sie tun. Sie würden ein Amtshilfeabzeichen in den Ausweis bekommen, was Ihnen einige Türen öffnen würde. Sie könnten Gregs Büro nutzen. Sie dürften Einblick in die offene Akte und die Polizeiberichte nehmen.«
Offene Akte bedeutete, dass ich den Fall bekommen würde, wie Greg ihn bekommen hatte: das Faktengerippe und kaum weitere Erkenntnisse. Ich würde Gregs Schritte nachvollziehen müssen. Es war viel mehr, als ich erwartet hatte.
»Danke«, sagte ich.
»Die Akte bleibt hier im Gebäude«, sagte er. »Keine Kopien, keine Zitate. Sie berichten mir, und nur mir.«
»Aber ich bin der Gilde Rechenschaft schuldig«, erwiderte ich.
Das wischte er mit einer Handbewegung beiseite. »Das wird geregelt.«
Seit wann denn das? Dieser Protektor stellte tatsächlich alles Mögliche auf die Beine, um einer nichtsnutzigen Söldnerin zu helfen. Wieso tat er das?
Leute, die mir einen Gefallen taten, machten mich nervös. Doch andererseits schaute man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul. Nicht mal, wenn man das Pferdchen von einem Fettsack im Fransenhemd geschenkt bekam.
»Sie haben hier keinen offiziellen Status«, sagte er. »Wenn Sie Mist bauen, sind Sie bei mir sofort unten durch.«
»Verstanden.«
»Das wär’s dann«, sagte er.
Draußen winkte mich die Vorzimmerdame zu sich und ließ sich meinen Ausweis geben. Ich sah zu, wie sie ein kleines metallisches Amtshilfeabzeichen hinzufügte, eine offizielle Bestätigung, dass der Orden an meinem bescheidenen Wirken interessiert war. Das würde mir manche Türen öffnen. Andere würde man mir deshalb vor der Nase zuschlagen.
»Nehmen Sie es Ted nicht übel«, sagte die Sekretärin und gab mir meinen Ausweis wieder. »Er ist halt manchmal etwas schroff. Ich heiße übrigens Maxine.«
»Ich bin Kate. Könnten Sie mir zeigen, wo das Büro des verstorbenen Wahrsagers ist?«
»Aber gern. Hinten rechts die letzte Tür.«
»Danke.«
Sie lächelte und widmete sich wieder ihrer Arbeit.
Bei Gregs Büro angelangt, blieb ich in der Tür stehen. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Durch ein rechteckiges Fenster schien Tageslicht auf den Fußboden, einen schmalen Schreibtisch und zwei alte Stühle. Links nahm ein tiefes Bücherregal die gesamte Wandfläche ein und drohte unter der Last der säuberlich geordneten Bände zusammenzubrechen. Vier mannshohe metallene Aktenschränke nahmen die Wand gegenüber ein. Aktenstapel und Papiere häuften sich in den Ecken, auf den Stühlen und auf dem Tisch.
Jemand hatte Gregs Papiere durchsucht. Man hatte dabei Vorsicht walten lassen. Das Büro war nicht durchwühlt worden, sondern jemand hatte sich jede einzelne Akte angesehen und sie dann nicht an ihren Standort zurückbefördert, sondern auf der erstbesten Fläche abgelegt. Aus irgendeinem Grund ging es mir mächtig gegen den Strich, dass jemand Gregs Sachen nach seinem Tod angerührt und durchgesehen und seine Aufzeichnungen gelesen hatte.
Ich trat über die Türschwelle und spürte einen schützenden Zauberbann sich hinter mir schließen. Arkane Symbole, die schwach orangefarben leuchteten, bildeten auf dem grauen Teppichboden komplexe Muster. Lange, verschlungene Linien verbanden die einzelnen Symbole, und wo sie im Raum aufeinandertrafen, leuchteten rote Punkte. Greg hatte das Zimmer mit seinem eigenen Blut versiegelt und hatte dieses Siegel darüber hinaus auf mich abgestimmt, sonst wäre ich nicht in der Lage gewesen, den Bann zu sehen. Jetzt würde alle Magie, die ich in diesem Raum wirkte, darin verbleiben und jenseits der Tür keinen Nachhall auslösen. Einen derart komplexen Bann zu erschaffen musste Wochen gedauert haben. Weshalb hatte Greg das getan?
Ich ging zwischen den Akten hindurch zu dem Bücherregal. Darin standen eine alte Ausgabe des Almanachs der Zauberwesen, eine sogar noch ältere Ausgabe des Arkanen Wörterbuchs, eine Bibel, eine schöne, in Leder gebundene und mit Goldschrift verzierte Koran-Ausgabe, etliche weitere religiöse Werke und eine schlanke Ausgabe von Edmund Spensers Faerie Queene .
Dann ging ich zu den Aktenschränken. Wie nicht anders zu erwarten, waren sie leer. Die Abteilungen waren in Gregs persönlichem Kode beschriftet, den ich nicht entziffern konnte. Aber das spielte
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