Stadt der Fremden
obgleich er dies nicht zu merken schien. Wir gaben ihm Nahrung. Er folgte uns, weil wir ihm Versprechungen über EzRa machten. Wir nahmen ihn mit uns zur Krankenstation. Ich war nicht die einzige ehemals einfache Bürgerin im Komitee, die nichts von der Existenz dieses Flügels gewusst hatte. Nach einer Reihe von nicht intuitiv verstehbaren Korridorwendungen und Treppenhäusern kamen wir vor einer schweren Tür an. Es gab sogar einen Wächter. Ein Sicherheitsdienst – und das in diesen Zeiten, wo alle Beamte gebraucht wurden.
»Habe Ihre Nachricht erhalten, Botschafterin«, sagte er zu MagDa. »Ich bin mir aber immer noch nicht sicher, ob ich das kann … Ich …« Er sah uns an. Sein Blick fiel auf den verängstigten Ariekei, der bei uns war.
»Wir befinden uns in kriegerischen Zeiten«, entgegneten MagDa. »Sie glauben doch nicht im Ernst …« »… dass die alten Gesetze noch gelten.« »Lassen Sie uns herein.«
Innen empfing uns uniformiertes Botschaftspersonal und machte es uns behaglich. Ihre Angst war spürbar, doch gedämpft im Vergleich zu der von allen anderen. Es gab eine vorgeschützte Normalität in diesen geheimen Hallen: Von allen Orten, die ich in den letzten Wochen aufgesucht hatte, war dies der einzige, wo die Tagesrhythmen nicht völlig von der Krise erfasst wurden.
Pfleger mit Medikamenten und Schaubildern gingen in Räume hinein und aus ihnen hinaus. Ich hatte das Gefühl, dass diese Mannschaft ihre Tätigkeiten von Tag zu Tag weiterführen würde, bis Rede -ausgehungerte Ariekei durch ihre Türen brachen und sie umbrachten. Ich vermute, es gab andere Institutionen in Botschaftsstadt, wo sich die Dynamik des Alltäglichen erhielt – einige Krankenhäuser, vielleicht ein paar Schulen, vielleicht Häuser, wo die Schichteltern die Kinder zutiefst liebten. Immer wenn eine Gesellschaft stirbt, muss es Helden geben, die gegen das Unheil kämpfen, indem sie einfach weitermachen wie bisher.
Die Krankenstation war eine Krankenstation und zugleich ein Asyl und ein Gefängnis für misslungene Botschafter. »Als ob es jedes Mal funktionieren würde, wenn man versucht, zwei Personen in eine zu verwandeln«, raunte Bren mir höhnisch zu.
Botschafter wurden in Schüben erzeugt: Wir passierten Räume mit Männern und Frauen, die alle derselben Generation angehörten. Zuerst ging es durch den Flur mit den Leuten im mittleren Alter: eingekerkerte Misserfolge, die mehr als eine halbe Megastunde alt waren und die auf die Cams sowie den Einwegspiegel starrten, durch den wir für sie unsichtbar waren. In getrennten Kammern sah ich Doppel, die anscheinend nicht miteinander verbunden waren oder deren Verbindung so lose war, dass die Wand zwischen ihnen keineUnannehmlichkeiten bereitete. Indem ich in einen Raum nach dem anderen blickte, sah ich die Gesichter der Bewohner zweimal, zweimal, zweimal.
Einige Zellen waren leer, ohne Fenster und spärlich möbliert, andere üppig eingerichtet, mit Stoffen und Textilien sowie einem schönen Ausblick auf unsere Stadt und die der Gastgeber. Es gab Insassen, die durch elektronische Anhänger und einige sogar durch Riemen gesichert oder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurden. Meistens sagten die Versehrten nichts – so nannte einer der Ärzte, die uns führten, diese Gruppe –, doch eine von ihnen, die mit Zwang festgeschnallt worden war, schrie einfallsreichen Schmutz über uns. Ich weiß nicht, wie sie erkannte, dass wir jenseits des blickdichten Glases vorübergingen. Wir sahen, wie sie ihren Mund bewegte, und der Arzt drückte einen Knopf, wodurch er uns für ein paar Sekunden zuhören ließ. Ich verabscheute ihn dafür.
Alles war sauber. Es gab Blumen. Wo es möglich war, standen über den Doppelräumen die Namen derer gedruckt, die jeweils drinnen waren, sogar mit Ehrentitel. Botschafter HerOt, Botschafter JusTin, Botschafterin DagNey .
Einige hatten einfach nie die Empathie besessen, die benötigt wurde, um vorzutäuschen, dass man ein einziges Bewusstsein hätte. Sie waren immer nur zwei Personen gewesen, die gleich aussahen – trotz der Schulung, der Drogen, Verbindungselemente und Pressionen. Viele waren in unterschiedlichen Graden geisteskrank. Auch wenn sie die Anlage zur Sprache besaßen, hatte man sie in einem instabilen, gekränkten, melancholischen Zustand zurückgelassen. Gefährlich. Es gab jene, die durch die Trennung wahnsinnig gemacht worden waren, die nicht wie Bren in der Lage gewesen waren, den Tod eines Doppels durchzustehen. Sie
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