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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Hochzeitsreise bezeichnete, durchsuchte er die Bibliotheken von Charo-Stadt. Mit meiner Hilfe versuchte er, sich die Überlieferungen von Immer-Eintauchern über den Ort und seine Bewohner nutzbar zu machen; und als wir schließlich in Botschaftsstadt eintrafen, jagte er dort in unseren eigenen Archiven, doch er fand nichts Systematisches über sein Thema. Das machte ihn glücklich.
    »Warum hat niemand früher darüber geschrieben?«, fragte ich ihn.
    »Niemand kommt hierher«, antwortete er. »Es ist zu weit. Nichts für ungut, aber ihr steckt hier draußen mitten im Nirgendwo.«
    »Ach Gott, kein Problem.«
    »Und dazu ein gefährliches Nirgendwo. Plus dem Behördenkram von Bremen. Und um ehrlich zu sein, nichts davon ergibt viel Sinn.«
    »Die Sprache?«
    »Ja. Sprache .«
    Botschaftsstadt hatte ihre eigenen Sprachwissenschaftler, doch die meisten waren rein theoretische Gelehrte ohne besondere Aussicht, den Planeten je zu verlassen, wenn sie sich überhaupt die Mühe machen sollten, eine Karta zu beantragen. Sie lernten und lehrten Altes und Neues Französisch, Mandarin sowie Panarabisch; sie sprachen es untereinander zur Übung, so wie andere Schach spielten. Einige lernten außerirdische Sprachen, soweit dies die Physiologie erlaubte. Die hiesigen Pannegetch vergaßen ihre ursprünglichen Sprachen, wenn sie unser Englisch-Ubiq lernten. Doch fünf Kedis-Sprachen und drei Shur’asi-Dialekte wurden in Botschaftsstadt gesprochen, von denen wir uns vier annähern konnten.
    Einheimische Linguisten arbeiteten nicht über die Sprache der Gastgeber. Scile allerdings war unbeeinflusst von unseren Tabus.
    Er stammte nicht aus Bremen, auch nicht von einem seiner Außenposten und noch nicht einmal aus einer anderen Nation auf Dagostin. Scile war von einem städtischen Mond, Sebastapolis, von dem ich nur vage etwas gehört hatte. Er wuchs vielsprachig auf. Ich war mir niemals ganz sicher, welche Sprache er als seine erste betrachtete, falls er dies überhaupt tat. Während wir reisten, war ich neidisch auf seine Unbekümmertheit und sein völliges Desinteresse, mit dem er seine Heimat ignorierte, in der er geboren worden war.
    Unsere Route nach Botschaftsstadt verlief recht umständlich. Die Schiffe, die wir nahmen, waren mit Immer-Eintauchern aus mehr Orten bemannt, als ich jemals sehen würde. Ich kannte die Karten der überaus belebten immer cognita von Bremen, konnte einst die Namen von Nationen auf vielen ihrer Kernwelten aufzählen. Doch einige von den Kollegen, mit denen ich zusammen auf dem Heimweg diente, kamen von keinem dieser Planeten. Sie waren Terre von so weit entfernten Regionen, dass sie mich neckten und behaupteten, der Name ihrer Welt sei Fata Morgana oder Fiddler’s Green.
    Wäre ich mit mehreren verschiedenen Schiffen in andere Richtungen gefahren, hätte ich in Regionen des Immer und des Alltags gelangen können, in denen Bremen das Märchen war. Leute gehen verloren in den sich überlappenden Regionen des bekanntenWeltraums. Jene, die auf Fahrzeugen von Außerirdischen dienen und die lernen, den fremdartigen Belastungen ihrer Antriebssysteme standzuhalten, den von Schluckantrieben, Überlichtfalten oder Banshee-Tech, reisen sogar noch weiter und auf weniger vorhersehbaren Flugrouten und verlieren noch stärker die Orientierung. So ist es nun seit vielen Megastunden, seitdem die Menschen das Immer entdeckten und wir zum homo diaspora wurden.
    Sciles Begeisterung für die Sprache der Gastgeber hatte immer ein wenig von einem Kitzel für mich. Ich weiß nicht, ob er, der nicht nur mit Blick auf Botschaftsstadt ein Außenseiter war, sondern im ganzen Kosmos von Bremen insgesamt, den Schauer verstehen konnte, den er jedes Mal in mir erzeugte, wenn er »Ariekei« sagte, anstatt den respektvollen Ausdruck »Gastgeber« zu benutzen, wenn er ihre Sätze analysierte und mir sagte, was sie bedeuteten. Ich bin sicher, es handelt sich um eine Art von Ironie oder so, dass ich durch die Forschungen meines ausländischen Gatten das meiste von dem lernte, was ich über die einheimische Sprache der Stadt weiß, in der ich quasi in einem Ghetto geboren wurde.
    BKL – Beschleunigte Kontaktlinguistik – war, wie Scile mir sagte, ein Spezialfach, das durch die Kreuzung von Pädagogik, Aufnahmebereitschaft, Programmierung und Kryptografie entstanden war. BKL wurde von gelehrten Entdeckern auf Bremens Pionierschiffen benutzt, um eine sehr schnelle Kommunikation mit Eingeborenen zustande zu bringen, denen sie begegneten

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