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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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fasziniert, dass Wyatt seinen Aufgabenbereich jetzt auf eine gewissermaßen so muskulöse Weise interpretierte.
    Dies war das erste Mal seit Menschengedenken, dass ein Botschafter aus dem Außen gekommen war. Hätte das Fest sie nicht unter Zugzwang gesetzt – das Schiff war im Aufbruch begriffen, und der Ball konnte nicht verschoben werden –, hätte das Botschaftspersonal, wie ich annahm, den Versuch unternommen, die Neuankömmlinge länger unter Quarantäne zu halten, und seine Machenschaften fortgesetzt, wie auch immer diese aussahen.
    »CalVin ist hier«, warnte mich Ehrsul leise. Ihr eingeblendetes Gesicht starrte über meine Schulter hinweg. Ich schaute mich nicht um. Sie sah mich an und zog ein leichtes Was? -Gesicht. Ohne Worte teilte sie mir mit, dass sie immer noch gerne wissen würde, was da irgendwann einmal geschehen war. Ich schüttelte den Kopf.
    Yanna Southel, die Senior-Forscherin von Botschaftsstadt, traf ein, und in ihrer Begleitung befand sich ein Botschafter. Ich flüsterte Ehrsul zu: »Gut, es ist EdGar. Zeit, ein Schwätzchen zu halten. Ich werde gleich Bericht erstatten.«
    Langsam bewegte ich mich durch die Menge in die Nähe des Botschafters. Dort, in der Mitte des Gelächters, wo man immer wieder ein bisschen von den Tänzern angestoßen wurde, hob ich mein Glas und brachte EdGar dazu, mich anzusehen.
    »Botschafter«, sagte ich. Sie lächelten. »Also … sind wir so weit?«
    » Christus Pharos , nein«, antwortete Ed oder Gar. »Sie fragen, als ob ich wissen sollte, was im Gange ist, Avice«, fuhr der andere der beiden fort.
    Ich neigte den Kopf. EdGar und ich hatten es immer genossen, auf überspitzte Weise miteinander zu flirten. Sie mochten mich, siewaren geschwätzig – richtige Klatschmäuler. Stets gaben sie so viel von sich, wie sie sollten, und ein wenig mehr. Die eleganten älteren Männer blickten sich nach allen Seiten um und rissen in einer theatralischen Geste die Augenbrauen nach oben, beunruhigt, als könne jemand hereinstürmen und verhindern, dass sie redeten. Dieses verschwörerische Gehabe war ihre Masche. In den letzten paar Monaten hatte man sie wahrscheinlich vor mir gewarnt, aber sie behandelten mich dennoch mit einer schwatzhaften Zuvorkommenheit, die ich zu würdigen wusste. Ich lächelte, stutzte dann aber, als ich bemerkte, dass sie trotz ihrer Feiergesichter wirklich unglücklich aussahen.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass es …« »… möglich wäre«, sagte EdGar. »Hier laufen Dinge ab …« »… die wir nicht verstehen.«
    »Was ist mit den übrigen Botschaftern?«, erkundigte ich mich.
    Wir schauten uns im Saal um. Viele ihrer Kollegen waren inzwischen eingetroffen. Ich sah EsMé in bunt schillernden Kleidern. ArnOld hantierten mit den Fingern an den eng sitzenden Halskragen, die unter ihren Verbindungselementen festklemmten und recht unbequem aussahen. JasMin und HelEn diskutierten auf komplizierte Weise: Jeder Botschafter unterbrach den anderen, jede Hälfte von jedem Botschafter beendete die Wörter ihres Doppels. So viele Botschafter an einem Ort sorgten für eine verträumte Atmosphäre. Eingesteckt in ihrem Nacken, und unterschiedlich dekorativ entsprechend der Geschmacksvorlieben, trugen sie Dioden, die stakkatohaft im elektrischen Kreislauf ihrer Verbindungselemente leuchteten. Farben blitzten paarweise und simultan auf.
    »Offen gesagt?«, erwiderte EdGar. »Sie sind alle besorgt.« »In verschiedenen Graden.« »Einige von ihnen denken, dass wir …« »… übertreiben. RanDolph glaubt, alles wird gut für uns sein.« »Einen Neuankömmling zu haben, um uns wachzurütteln. Doch keiner ist sonderlich begeistert davon.«
    »Wo sind JoaQuin? Und wo ist Wyatt?«
    »Sie bringen den neuen Burschen herein. Gemeinsam.« »Keiner von beiden will den anderen aus den Augen lassen.«
    Botschaftsmitarbeiter machten den Platz vor dem Halleneingang frei und bereiteten so das Eintreffen von JoaQuin, dem Vorsitzendender Botschafter, von Wyatt, dem Attaché von Bremen, und des neuen Botschafters vor. Es waren Leute da, die ich nicht kannte. Ich hatte den Piloten aus den Augen verloren, sodass ich nicht fragen konnte, ob es Besatzungsmitglieder, Einwanderer oder vorübergehende Bewohner waren.
    Bei den meisten dieser Bälle waren die Neuankömmlinge – egal, ob sie dauerhaft blieben oder bloß auf einer Rundfahrt waren – von Einheimischen umringt. Es mangelte ihnen nie an Gesellschaft, weder in sexueller noch in verbaler Form. Ihre Bekleidung und

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