Stadt der Fremden
stören würde, wenn wir eine Beziehung zu jemandem haben müssten, der verschiedene körperliche Gestalten hätte. Sie war natürlich ein Importprodukt. Es war jedoch nicht klar, von woher und wann sie gekommen war. Sie war schon länger in Botschaftsstadt, als irgendein Mensch, den ich kannte, zurückdenken konnte. Ihre Turingware ging über die örtlichen Fähigkeiten weit hinaus und überstieg alles Gleichartige, was ich im Außen gesehen hatte. Mit den meisten Automa die Zeit zu verbringen war so, als ob man sich jemandem anschloss, der geistig schwer behindert war. Doch Ehrsul war eine Freundin. »Komm und rette mich vor den Dorftrotteln«, sagte sie manchmal zu mir, nachdem sie an der Seite von anderen Automa Updates heruntergeladen hatte.
»Scherzt du mit dir selbst, wenn niemand dich beobachtet?«, hatte ich sie einmal gefragt.
»Spielt das eine Rolle?«, hatte sie schließlich erwidert, und ich fühlte mich gescholten. Es war unverschämt und unreif gewesen, die Frage nach ihrer Personalität und ihrem offensichtlichen Bewusstsein aufzubringen oder ob sie dies alles nur meinetwegen zeigte. Es war Tradition, dass keiner der wenigen Automa, deren Verhalten menschlich genug war, um einen Anlass zu dieser Frage zu bieten, darauf antwortete.
Sie war meine beste Freundin, und sie hatte etwas Wohlbekanntes und Sonderbares an sich. Als ich sie kennenlernte, war ich mir sicher, dass ich sie vorher schon einmal gesehen hatte. Zuerst wusste ich nicht, wo ich sie einordnen sollte; doch als ich dann erfasste, in welcher Situation das, wie ich glaubte, gewesen war, fragte ich sie abrupt (als ob ich sie aufschrecken könnte): »Wofür haben sie dich dort gewollt? In Brens Haus, vor langer Zeit, als mir die Botschafter mein Simile vortrugen? Das warst du, nicht wahr? Entsinnst du dich?«
»Avice«, hatte sie mit leichtem Tadel in der Stimme erwidert und ihr Gesicht schütteln lassen, als ob sie enttäuscht wäre. Das war alles,was ich ihr über diese Angelegenheit jemals entlocken konnte, und ich habe sie nicht bedrängt.
Beim Innen-Efeu steckten wir die Köpfe zusammen und beobachteten kleine Cams, die durch den Raum huschten und Aufnahmen machten. Dekorative Bio-Fabrikate ließen Körperhüllen farbig leuchten.
»Hast du sie denn schon kennengelernt?«, fragte Ehrsul. »Der hochverehrte Neuzugang, auf den wir warten? Ich noch nicht.«
Das überraschte mich. Ehrsul hatte keine Arbeit und unterlag nicht der Pflicht, irgendeinen Zehnten zu bezahlen. Doch als ein Computer war sie wertvoll für das Botschaftspersonal und oft für diese Leute tätig. Bis ich in Ungnade fiel, hätte ich das Gleiche von mir behauptet, dass gerade mein Status zwischen eingeweiht und außenstehend für die Angehörigen der Botschaft nützlich war. Ich hätte erwartet, dass Ehrsul an welchen fortlaufenden Diskussionen auch immer beteiligt wäre, doch seit der neue Botschafter angekommen war, hatte sich das Personal allem Anschein nach in die engsten Freundeskreise zurückgezogen.
»Es gibt Gerangel«, sagte Ehrsul. »Das ist es, was ich gehört habe.« Die Leute erzählten ihr so einige Sachen, vielleicht deswegen, weil sie kein Mensch war, aber beinahe. Ich glaube, sie zapfte auch das lokale Netz an, entschlüsselte genug Informationsfetzen, um für Freunde eine gute Nachrichtenquelle zu sein. »Leute sind besorgt. Obschon ich annehme, dass einige eher Gefallen daran finden … Schau dir MagDa an. Und jetzt Wyatt, der darauf insistiert, einbezogen zu werden.«
»Wyatt?«
»Er hat alte Gesetze zitiert und versucht, den Botschafter allein einzuweisen, vielen Dank auch. Und dergleichen.«
Wyatt, der Repräsentant von Bremen, war mit dem vorangegangenen Handelsschiff angekommen, um Chettenham, seinen Vorgänger, abzulösen. Mit dem nächsten Transport sollte er wieder abfahren. Vor etwas mehr als zwei Megastunden hatte Bremen Botschaftsstadt gegründet. Wir waren juristisch gesehen Bremer: Schutzpersonen. Doch die Botschafter, die formal im Namen von Bremen regierten,waren natürlich hier geboren, ebenso wie das Personal und wir, die ihr Umfeld ausmachten. Wyatt, Chettenham und andere Attachés auf ihren lang andauernden Posten verließen sich auf das Botschaftspersonal, wenn es um Handelsinformationen, Vorschläge, Zugang zu den Gastgebern und Technologien ging. Nur selten gaben sie andere Befehle als »Weiter so!«. Sie berieten auch das Botschaftspersonal, wenn es um Fragen ging, die die Politik in der Hauptstadt betrafen. Ich war
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