Stadt der Fremden
Immer verbracht. In Dutzenden von Ländern auf Dutzenden von Planeten war ich in Häfen gewesen, hatte sogar den Schreck der Reisenden erlebt, den wir Floaker die Retour nannten: wenn man nach Vorbereitungen auf die Andersartigkeit einer neuen Welt durch eine völlig nichtmenschliche Hauptstadt geht, auf kompliziert aussehende Einheimische starrt und dann irgendwann anfängt zu vermuten, man wäre früher schon einmal hier gewesen. Dennoch war ich an dem Abend, als Scile und ich uns für den Besuch der Gastgeberstadt ankleideten, so nervös, wie ich seit meiner Abreise von Arieka nicht mehr gewesen war.
Ich blickte aus den Schiffsfenstern, während wir über dem Efeu und den Dächern meiner kleinen Ghettostadt dahinflogen. Ich stieß den Atem aus, als wir die Zone überquerten, wo sich die Architektur von den Ziegelsteinen und dem efeuumrankten Holz meiner Jugend in die Polymere und das bio-fabrizierte Fleisch der Gastgeber verwandelte, vom Gassengewirr zu den Straßengegenstücken anderer Topografien. Gebäude-Wesen waren heruntergekommen und ersetzt worden. Stätten mit Konstruktionen wie miteinander kombinierte Schlachthäuser, Massenzuchtbetriebe und Steinbrüche.
Ungefähr zwanzig von uns waren da: fünf Botschafter, eine Handvoll Personal und wir beide. Scile und ich lächelten uns gegenseitig durch unsere Masken an und atmeten die Ausströmungen unserer kleinen tragbaren Äoli ein. Schnell, sehr schnell, landeten wir auf einem Dach. Wir zwei folgten unseren Gefährten nach draußen und hinab in ein Gebäude, hinein in die Stadt der Gastgeber.
Ein komplexer Ort mit vielen Kammern, dessen Winkel mich verblüfften. Jeder, der jemals über meine Gelassenheit gesprochen hatte, wäre ins Lachen geraten, wenn er gesehen hätte, wie ich buchstäblich rückwärts in jenen Raum stolperte. Wände und Decken bewegten sich mit knarrendem mechanischem Leben wie die Nachkommenschaft von Ketten und Krebsen. Ein freundliches Mitglied des Botschaftspersonals führte Scile und mich. Unsere Gesellschaft ging ohne ariekenische Aufsichtspersonen. Ich wollte die Wände berühren. Ich konnte mein Herz hören. Ich hörte Gastgeber. Plötzlich waren wir unter ihnen. Es waren mehr, als ich jemals gesehen hatte.
Die Räume waren lebendig, und Zellen leuchteten in den Farben des Regenbogens, als wir eintraten. Ariekei sprachen der Reihe nach, und die Botschafter sangen mit fremdartiger Höflichkeit. Mehrere Gastgeber in ihrem letzten Nymphenstadium schlenderten in würdevoller Geistlosigkeit durch einen schluckenden Korridor. Eine Brücke pfiff uns zu.
Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich Gastgeber-Nachwuchs: dampfende Nährstoffbrühen voller aufwallender Wesen, die wie Jungaale aussahen. Weiter weg war die Kampf-Kinderkrippe, in der die wilden Kleinen im zweiten Nymphenstadium miteinander spielten und sich gegenseitig töteten. In einer Halle, die mehrfach von Laufgängen an Sehnen und von Plattformen auf muskulösen Gliedmaßen durchkreuzt wurde, versammelten sich Hunderte von Ariekei für das Fest der Lügen, die Präsentflügel ausgebreitet, die Fächerflügel mit Tinten und natürlichen Pigmenten geschmückt.
Sprechen war Denken für die Gastgeber. Dass ein Sprecher sagen konnte, behaupten konnte, etwas, das er wusste, sei nicht wahr, war für sie so unsinnig wie für mich die Vorstellung, ich könnte etwas glauben, von dem ich wusste, dass es falsch war. Ohne Sprache für Dinge, die nicht existierten, konnten Gastgeber sie schwerlich denken; sie waren bei Weitem undeutlicher als Träume. Welche Einbildungen irgendjemand von ihnen überhaupt heraufbeschwören konnte, sie mussten nebelhaft und gefangen in ihren Köpfen sein.
Unsere Botschafter waren allerdings Menschen. Sie konnten lügen, sowohl in Sprache als auch in unserer eigenen Sprache – und das zur endlosen Freude der Gastgeber. Diese Eisteddfods der Lügenhaftigkeit hatte es nicht gegeben – wie sollte dies auch möglich sein? –, bevor wir Terre-Wesen kamen. Beinahe seit Anbeginn der Gründung von Botschaftsstadt fanden die Feste der Lügen statt: Sie waren eines unserer ersten Geschenke an die Gastgeber. Ich hatte von ihnen gehört, jedoch niemals erwartet, eines davon zu sehen.
Unsere Botschafter gingen zwischen den Hunderten von wiehernden Ariekei. Personalangehörige, Scile und ich – wir, die hier nicht sprechen konnten – schauten zu. Der Raum war von Höhlungen durchstochen. Ich konnte hören, wie er Luft holte.
»Sie heißen uns gerade willkommen«,
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