Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
der Gastgeber, der zu lügen versuchte – ein Ariekei mit einer Scherenform auf seinem Fächerflügel. Er zog mehrere seiner Augen zurück, sammelte sich und sagte mit seinen beiden Stimmen ein Wort, das man in etwa mit »gelb-beige« übersetzen konnte. Es war kaum eine dramatische Unwahrheit, doch die Menge war davon hingerissen.
    Eine Gruppe von Gastgebern näherte sich uns.
    »Avice«, sagte Cal oder Vin höflich. »Dies ist …« Und sie begannen, ihre Namen zu nennen.
    Ich habe niemals einen Sinn in diesen Nettigkeiten zwischen so etwas wie meiner Person und den Ariekei gesehen. Da gemäß ihrem Verständnis nur diejenigen ein Bewusstsein besaßen, die Sprache beherrschten, mussten sie es für merkwürdig halten, wenn Botschafter ihnen mit großer Bedachtsamkeit sprachlose, amputierte Halbwesen vorstellten. Als ob ein Ariekei darauf beharren würde, dass man höflich Hallo zu seinem Batterie-Tier sagte.
    So dachte ich, doch dann stellte sich etwas anderes heraus. DieAriekei schüttelten meine Hand mit ihren Präsentflügeln, als CalVin sie dazu aufforderte. Sie hatten eine kühle, trockene Haut. Ich schloss meinen Mund, um das Gefühl – was auch immer es war – zu verbergen, das in mir aufstieg. (Ich bin mir immer noch nicht sicher, welches es war.) Die Ariekei registrierten etwas, als die Botschafter ihnen meinen Namen sagten. Sie redeten, und Scile sprach rasch die Übersetzung in mein Ohr.
    »Sie sagen: ›Diese da?‹«, flüsterte er mir zu. »›Diese da ist es?‹«

Neuere Zeit, 3
    Es gibt Möglichkeiten, Gastgeber auseinanderzuhalten. Jeder Fächerflügel hat eine einzigartige Strukturierung, so einmalig wie ein Fingerabdruck (und wann immer diese Tatsache festgestellt wird, scheint unweigerlich die nervtötende Erwähnung des Umstands zu folgen, dass Botschaftsstadt der einzige Ort ist, wo nicht alle Terre-Fingerabdrücke einzigartig sind). Es gibt außerdem Feinheiten bei der Schraffur der Schalen, bei den Stacheln auf den Gliedmaßen und bei der Form von Augensprossen. Zu jener Zeit achtete ich selten auf so etwas, und ich lernte auch nicht die Namen der Ariekei, die ich traf, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. So konnte ich auch nicht erkennen, ob ich bei meinem ersten oder irgendeinem der nachträglichen Besuche in der Stadt der Gastgeber schon einmal einem Mitglied jener Delegation begegnet war, die sich all diese Kilostunden später in der Halle der Diplomatie zu uns gesellte, um EzRa zu begrüßen, den unmöglichen neuen Botschafter.
    Soweit ich feststellen konnte, waren sie alle im mittleren Alter, in ihrem dritten Nymphenstadium, und deshalb empfindungsfähig. Einige trugen Schärpen, die in (für mich) schleierhafter Weise auf ihren Rang oder ihre Vorlieben hinwiesen; einige waren dort, wo ihr Chitin dick war, mit hässlichen kleinen Juwelen übersät. Die ältesten der Botschafter, MayBel und JoaQuin, gingen mit ihnen langsamdurch den Raum und gaben jedem von ihnen ein Glas Champagner, den man sorgsam manipuliert hatte, damit er schmackhaft für sie war. Die Gastgeber hielten die Gläser anmutig und schluckten mit ihren Schnittmündern. Ich sah, wie Ez sie beobachtete.
    »Ra kommt«, informierte mich Ehrsul.
    »Wie sollen wir ihn nennen?«, fragte ich. »Was sind er und Ez füreinander? Sie sind keine Doppel.«
    Wo auch immer und mit wem Scile in diesem Raum war – ich wusste, er würde wegen der Seltsamkeit von all dem genauso nervös sein wie ich. Ez und Ra näherten sich einander; etwas an ihrer Haltung veränderte sich, und sie gerieten in einen anderen Modus.
    Wie konnte dies geschehen sein?
    All jene Strukturen, die sich ausgebildet und eingebürgert hatten, seit Tausenden von Stunden – seit Jahren. Die Jahre von Botschaftsstadt, mit denen ich aufgewachsen war. Lange Monate, die in dummer Nostalgie nach einem uralten Kalender benannt waren, jeder viele Wochen mit Dutzenden Tagen lang. Seit fast einem Botschaftsstadt-Jahrhundert, seit der Gründung von Botschaftsstadt, hatten diese Strukturen hier vor Ort bestanden. Man betrieb Klon-Farmen und zog in behutsamer und einzigartiger Aufzucht Doppel zu Botschaftern heran, mit allen Fertigkeiten zur Regierungsführung, die sie benötigen würden. Natürlich geschah das alles unter Bremens Schirmherrschaft: Bremen war unsere Heimatmacht, alle unsere öffentlichen Gebäude zeigten Uhren und Kalender in Charo-Stadt-Zeit. Doch so weit draußen im Immer, wie wir waren, sollte alles unter der Kontrolle des Botschaftspersonals

Weitere Kostenlose Bücher