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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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als sich das Virus abbaute und protestantische und verschiedene andere Sekten entstehen ließ. »Wir sind die Betreuer der Engel«, erklärte mir eine Maschine, die wie ein Bittsteller taumelte. »Wir sind die Betreuer der sprechenden Engel und der Sprache Gottes.« Das Virus schaltete sich ab, als die aus ihm resultierenden Theorien zu weit von der aufkommenden Druman’schen Orthodoxie abirrten.
    Ich fragte Ehrsul, ob sie betroffen wäre, ob sie das Kitzeln virtueller Keime gefühlt hatte. Sie lehnte die anderen Automa als mentale Schwächlinge ab und antwortete mir, dass sie selbst kaum in Gefahr gewesen war, obwohl sie, ja, es gefühlt hatte. Natürlich standen Valdik und seine radikalen Similes unter Verdacht, doch niemand konnte beweisen, wer das Virus programmiert hatte. Und obwohl es ein Ärgernis darstellte, blieb dies doch alles, was es letztendlich war. Ich wusste, dass Scile nicht die Fachkenntnis besaß, um zu programmieren, ansonsten hätte ich geglaubt, es wäre sein Werk gewesen.

    Als ich jetzt wieder zur Krawatte ging, tat ich es aus sozialdiagnostischen Gründen. Viele der früheren Stammgäste tranken nicht mehr dort: Sie waren verstimmt über Valdiks prophetische Verkündigungen und gründeten Salons für Verweigerer-Similes. Andere nahmen ihren Platz ein. Ich kam, um Valdik reden zu hören, und zwar, wie ich mir selbst sagte, wegen einer Pornografie von dem Untergang geweihten Gründen – und möglicherweise, um Gründe zu hören, mit denen ich eine Intervention der Autoritäten einfordern könnte. Er gab ein Loblied auf die Botschafter von sich (die vermittelnden Hierophanten in seinem Modell), drückte seine Dankbarkeit aus, einer der Similes zu sein, der Wahrheiten und Sprache im Fleische.
    Bei der letzten von Valdiks Versammlungen, zu der ich ging, war surl  |  tesh-echer mit Spanischem Tänzer und anderen anwesend. Der Gastgeber hatte auch mehr Anhänger gesammelt, sodass ich glaubte, er müsse seine Technik verbessert haben, mit der er ein immer besserer Lügner werden wollte. Sie beobachteten sich gegenseitig. Valdik blickte finster. Ich wusste nicht, ob die Gastgeber seine Feindseligkeit spürten. Hasser war auch da: einer der wenigen, der die Freundschaft zu beiden Seiten der aufkommenden Spaltung unter den Similes bewahrte. Er grüßte mich. Sein Gesicht drückte ein Gefühl aus, für das ich keine Bezeichnung hatte, doch es erinnerte mich an mein eigenes. Ein Unbehagen: Mit diesem Wort komme ich der Empfindung so nah, wie es mir möglich ist.
    »Bist du nicht besorgt?«, fragte ich Ehrsul.
    »Ich habe dir doch gesagt, dass ich immun bin«, erwiderte sie.
    »Nein, ich meine … was glaubst du? Denkst du jemals darüber nach? Ich meine, führt es jemals dazu, dass du irgendetwas in der einen oder anderen Weise fühlst, wenn einige der Gastgeber lernen … nun, jetzt um die Wahrheit herumreden können?« Sie antwortete nichts darauf, und so fügte ich hinzu: »Lügen können.«
    Wir waren in einer Bar in einer der Einkaufsstraßen von Botschaftsstadt. Ehrsul genoss eine gewisse Bekanntheit und wurde von der leicht begüterten Jugend mit Blicken bedacht. Wir unterhielten uns leise bei Musik und dem Klappern von Gläsern. Ehrsul gab mir immer noch keine Antwort.
    »Etwas verändert sich«, sagte ich schließlich. »Was etwas Gutes sein mag – oder nicht.«
    Sie schaute mich mit einem projizierten Gesicht an, das aufgrund des Designs oder durch ein Zusammentreffen mehrdeutiger Reiz-Reaktionen in ihrer ’ware undurchschaubar war. Sie sagte nichts. Mir wurde immer unbehaglicher bei diesem rätselhaften Schweigen, bis ich über etwas anderes sprach, auf das sie normal antwortete mit all den übertriebenen Vertraulichkeiten unserer Freundschaft.
    Es bedeutete mir sowieso niemals so viel, dass ich ein Simile war; es kümmerte mich nicht, was Valdik predigte. Es ist wegen Scile , sagte ich mir. Doch nein – obwohl ich besorgt war wegen ihm, war das nicht alles. Ich wusste niemals wirklich, was es sonst noch war.
    »Was wollt ihr unternehmen?«, fragte ich CalVin. Selbst die Botschafter waren nun besorgt, wie ich ihren Worten entnahm. Die neue Philosophie konnte nicht mehr als eine kleine Anhängerschar gehabt haben, doch die Inbrunst nervte uns in Botschaftsstadt. Die Gastgeber mussten sicherlich etwas von der Atmosphäre aufgegriffen haben: Ich hatte mehr Ariekei als üblich im äolischen Hauch unseres Stadtviertels gesehen.
    »Wir reden mit den Gastgebern«, antworteten CalVin. »Wir sind

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