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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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besaßen, die sich mehr oder weniger vorhersagen ließen. In Botschaftsstadt bemerkte ich natürlich bestimmte Witterungen, doch ich erwartete sie niemals.
    Es wurde warm. Anscheinend war es Zeit für uns, einen Sommer zu haben.
    Ich ging allein zur Bedeutungslügen-Party. Ehrsul hatte erwartet, dass wir gemeinsam dorthin gehen würden, doch ich sagte ihr ab. An ihrem Schweigen erkannte ich, dass sie das kränkte – oder dass ich das Unterprogramm ihrer Turingware auslöste, das es so erscheinen ließ. Doch ich konnte mit niemandem dort sein. Ich bestrafte sie nicht dafür, dass sie in letzter Zeit häufiger geschwiegen hatte. Ich musste einfach allein sein wegen dem, was auch immer geschehen würde. Und ich wusste, dass etwas passieren würde, so sicher, als ob dies ein letztes Kapitel wäre.
    Es gab Spielzimmer, Lebensmittelhallen, Massagehäuser, Orte für Sex; und es gab Zonen, die für unsere Gastgeber bestimmt waren. Sie kamen in großer Zahl, da sie von ihren Netzwerken informiert worden waren: die Tech-ähnlichen Stadtschreier, bei deren Automatisierung wir geholfen hatten. Nie zuvor hatte ich so viele Gastgeber in Botschaftsstadt gesehen.
    Wahrsager und Künstler waren auf den Straßen. Trid-Karikaturen von den Passanten blitzten auf und verschwanden wieder. Beim Hereingehen mussten wir eine Sicherheitsüberprüfung über uns ergehen lassen: Es gab Terretech-Detektoren für Metalle und Energieströme sowie bio-fabrizierte Proszenien, die schnüffelten und nach verräterischen Spuren von Waffenbestandteilen schmeckten, als wir hindurchgingen. In der Menge befanden sich zudem Polizisten.
    Während der Nacht wurden die Menschen und Kedis immer betrunkener oder standen zunehmend unter Drogeneinfluss. Kinder auf hektischen Missionen rannten umher. Automa spazierten herein. Ich erblickte eine Herde von halbwüchsigen Shur’asi und einen einsamen Pannegetch, der mit Würfeln warf. Die Gastgeber schauten zu, als wir unsere Shovepenny-Spiele machten. Sie blickten mit der Faszination von Touristen und lauschten den Liedern unserer Sänger; sie waren angenehm erregt von unserer Harmonik. Scile konnte ich nicht finden.
    Ich glaube nicht, dass sich die Ariekei jemals in unsere Vorliebe für Symmetrie und Angelpunkte eingefühlt haben: für Sonnenwenden oder den Mittag. Doch die Bedeutungslügen-Party gehört uns ebenso wie ihnen, und das Fest der Lügen begann um Mitternacht.
    Das Festzelt hatte die Größe einer Kathedrale: An Stellen, wo die bio-fabrizierte Haut nicht zu Ende gewachsen war, hatte man dekorative Gaze oder Plastik über den Löchern verwoben. Rund um die Arena gab es Theatersitze für Terre-Wesen und Stehplätze für Außerirdische und für die Gastgeber. Ich erblickte Leute, die ich kannte. Sie riefen meinen Namen. Ich sah Hasser, und er hob seine Hand. Er blickte ängstlich. Ich war zu weit von ihm entfernt, um zu ihm zu gelangen. Neben dem Hauptort der Vorstellung befand sich eine große Gruppe von Botschaftern. CalVin waren da sowie CharLott, JoaQuin, MagDa, JasMin und andere, die sich mit dem Personal beratschlagten. In ihrer Nähe standen Ariekei, von denen ich ein oder zwei wiedererkannte. Birnbaum und andere, die ich vielleicht als Anführer bezeichnen könnte. Etwas weiter weg von ihnen warteten ariekenische Darsteller.
    surl  |  tesh-echer war mit Spanischer Tänzer und den anderen aus seinem Gefolge erschienen. Es war nicht schwierig, sie zu erkennen.
    Man hörte ein aufgeregtes Tuscheln und »Pst!«-Rufen unter den Terre, als die Lichter ausgingen und ein paar farbige Illuminationengezündet wurden. Botschafterin CharLott trat in die Mitte der Zuschauer und sagte mit einer starken, projizierten Doppelstimme etwas in Sprache . Ein Übersetzer rief uns Einheimischen theatralisch zu: »›Es regnet gerade hier herein‹, sagt die Botschafterin! ›Es regnet Flüssigkeit auf uns herab!‹«
    Es klang, als ob sie versuchten, Botschaftsstädter mit diesen lahmen Falschheiten zu begeistern, so als wären wir Gastgeber. Ich hielt das für absurd. Doch über den erfreuten Geräuschen der Ariekei, die hochguckten, um den nicht vorhandenen Regen zu finden, war das Gekreische von Terre zu hören: Meine Nachbarn schrien vor Vergnügen bei jeder neuen Unwahrheit der Botschafterin. Als ob keiner von ihnen lügen könnte.
    Ich erreichte die vorderste Sitzreihe, als CharLott ihr Spiel beendete. Andere Botschafter traten auf. Sie brachten die Zuhörer in Stimmung, wie ich bemerkte. Sie bereiteten uns vor.

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