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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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ein viel zu undurchsichtiges Phänomen dar, um irgendeine Art von Problem zu sein, geschweige denn ein moralisches. Und so blieb nur noch eine winzige Zahl von Botschaftsstädtern, zu denen überproportional Leichtgläubige zählten. Aber ihre Zahl wuchs.
    Valdik hielt in der Krawatte Volksreden über das Wesen der Similes und die Rolle von Sprache . Seine Argumente waren verworren, jedoch leidenschaftlich und bewegend.
    »Nirgendwo gibt es so etwas wie das«, erklärte Valdik. »Keine andere Sprache irgendwo im Universum. Wo das, was gesagt wird, wahr ist. Könnt ihr euch vorstellen, was es bedeuten würde, das zu verlieren?«
    »Das ist nicht fair, was du Valdik antust«, hielt ich Scile vor bei einem seiner seltenen Besuche in den Räumen, die unser Heim gewesen waren.
    »Er ist kein verdammtes Kind, Avice«, entgegnete Scile, während er seine Kleidung und Notizen einsammelte. Er blickte mich beim Herumwühlen nicht an. »Er entscheidet, was er möchte.«
    Als ich nahe den Ruinen spazierte, wurde mir ein Faltblatt aus billigem Nantech-Papier überreicht. Ein Trid blitzte daraus hervor, während ich es auseinanderfaltete. Es ließ mich zusammenzucken: Es war Valdiks Gesicht, in der Größe eines Apfels, das ich in meiner Hand hielt.
    Außerdem stand da: Druman im Kampf gegen die Lüge. Darunter eine Zeit- und Ortsangabe – nicht die Krawatte , sondern ein kleiner Saal. Nachdem ich so darauf aufmerksam geworden war, bemerkte ich Einzelheiten darüber und entdeckte auf Wandbildschirmen guerilla-kodierte Hinweise auf ähnliche Treffen: eingehackte Stör-Trids.
    Ich ging dorthin. Ich hatte geglaubt, dort Scile zu finden, doch er war nicht da. Ich blieb hinten im Raum.
    Valdik trug einen Projektor, und Trids von ihm tauchten wahllos und elektrostatisch im ganzen Tempel auf. Vorn im Raum erblickte ich Shanita, Darius, Hasser und andere Similes sowie Tropen. Valdik predigte. Er war immer noch ein mittelmäßiger Redner. Ich weiß nicht, wie diese Mittelmäßigkeit eine Anhängerschaft um sich versammeln konnte – vielleicht hing es mit den Flauten zusammen. Er legte religiöse Narrheiten dar: »… zwei Stimmen, aber eine Wahrheit, denn was ist die Wahrheit, wenn nicht dual, gegabelt, nicht im Konflikt, sondern zwei Formen von einer Wahrheit …« und so weiter.
    Der Raum war noch nicht einmal zu einem Viertel gefüllt. Er enthielt gutmütige Freunde sowie die Neugierigen und Flüchtlinge von anderen Kulten. Eine Versammlung der Hoffnungslosen und Gelangweilten. Als ich nach Hause kam, sprach Scile leise am Apparat. Er schenkte mir ein nicht überzeugendes Begrüßungslächeln, als ich hereinkam, und wandte sich ab, sodass ich ihn weder hören noch die Bewegungen seines Mundes sehen konnte. Ich fragte mich, ob sich sein Wahn auflösen würde, wenn man Valdik aus seinem selbst geschaffenen Amt entfernte – womit meiner Überzeugung nach Sciles Werkzeug beschlagnahmt wäre.
    »Was sollen wir tun?«, fragten CalVin. »Diese Treffen sind nicht illegal.«
    »Ihr könnt alles tun, was ihr wollt.«
    »Nun …« »Wir könnten Druman in ›administrative Haft‹ nehmen lassen …« »… aber willst du das wirklich?«
    »Ja!«, rief ich. Doch natürlich wollte ich das nicht, und natürlich würden sie das nicht tun.
    »Hör zu«, sagten sie. »Mach dir keine Sorgen.« »Wir werden Scile beobachten.« »Wir werden ihn schützen.«
    Und das taten sie: allerdings weder in der Art und Weise, wie ich angenommen hatte, noch vor dem, was ich gedacht hatte.

Einstmals, 9
    Jemand setzte in den nicht sesshaften Automa von Botschaftsstadt ein Virus frei, das Valdiks Wahn auf sie übertrug. Es machte die Automa zu Predigern seiner neuen Kirche. Ihre Eloquenz hing von der Ausgereiftheit ihrer Prozessoren ab: Die meisten waren nur wenig mehr als Ekstatiker, doch ein paar waren plötzlich Theologen. Sie schlenderten, wie sie es stets getan hatten, doch jetzt belästigten sie uns und ermahnten uns, Sprache – die prälapsarische Sprache – zu verteidigen: Wir armen Sünder (die Rhetorik war kitschig), die wir uns selbst für immer dazu verdammt hatten, mit einem tiefgründigen Gefüge der Lüge zu sprechen, denen jedoch zumindest der Dienst an der doppelzüngigen Struktur der Wahrheit gewährt war … und noch mehr wie dieses.
    Es wurden Korrekturprogramme entwickelt und freigesetzt. Sie funktionierten, doch die Infektion war hartnäckig. Wochenlang missionierten diese vagabundierenden Priester; ihr Katechismus änderte sich allerdings,

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