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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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paar Worte hinein, die zur Folge hatten, daß das Geräusch sich entfernender Schritte vernehmbar wurde.
    »Vergebt mir«, sagte der Präfekt verlegen zum Herzog.
    »Kein Grund«, antwortete dieser zynisch. »Es war gesorgt worden für einen Kreis, den hinter Euren Leuten Leute von mir bildeten. Keiner von euch hätte notfalls das Gelände lebend verlassen.«
    Verschwörer unter sich …
    Als Jeanette ihn zum erstenmal sah, dachte sie nicht an einen Menschen, sondern an einen Vogel. An einen riesigen, erschöpften, waidwund geschossenen Raben etwa, dem man die Schwingen gebrochen hatte. Eine schwarze, unförmige, nicht zu deutende Form war es, die dort am Brunnenrand in ihrem kleinen Garten kauerte, vielleicht auch eine Vogelscheuche, die ein Bauer weggeworfen hatte?
    Auf Zehenspitzen ging sie näher. Nun ein Geräusch, leise, krächzend, erschöpft und in höchster Not. Eine Vogelstimme? Nur das Husten wollte nicht dazu passen.
    Jeanette öffnete die Gartenpforte und bewegte sich vorsichtig, auf Zehenspitzen, mit angstpochendem Herzen. Das Schwarzschimmernde erkannte sie nun, war kein Gefieder, sondern Tuch. Teures Tuch. Ein wenig grünlich vom Gebrauch vielleicht, aber fein. Darauf verstand sich Jeanette. Ein Teil des Tuches, der, den sie für einen Flügel gehalten hatte, hing über dem Rosenstrauch neben dem Brunnen. Nun sah sie auch einen Schuh. Einen Schuh mit Silberschnalle.
    Ein Herr. Schwarz – das Zeichen der Gelehrsamkeit. Ein gelehrter Herr also? Womöglich ein Magister der Sorbonne? Und das in ihrem kleinen Garten in Neuilly?
    Wieder dieses krächzende Rasseln. Und der Husten …
    Nun richtete sich der Vogelmensch auf. Zum Vorschein kam ein mageres, spitzes, unrasiertes Gesicht, in dem ein paar dunkle Augen brannten und ein in Atemnot geöffneter Mund mit bläulichen Lippen. Eine hohe Stirn sah sie auch, zerfurcht von den Falten der Qual und eingerahmt von dicken, schwarzen Locken, in die sich schon viel, viel Grau mischte.
    Die Erscheinung versuchte sich zu erheben. Und sie gab sich alle Mühe. Doch hätte Jeanette nicht zugegriffen, wäre sie wieder in sich und in all ihre schwarzen Tuchfalten zusammengesackt.
    Jeanette Mellier hielt fest.
    »Oh … danke … danke, Demoiselle … Ich bedaure …«
    Husten. Und was für ein Husten! Ein Husten, der sich so schrecklich steigerte, daß die Lippen wieder blau wurden und Jeanettes Herz sich vor Furcht und Mitleid zusammenkrampfte. »Herr! Wollt Ihr Euch nicht in meinem Haus niederlegen? Es ist sicher besser … Ist ihnen nicht gut?«
    »O doch, o doch … Ich wollte … wollte hier nur einen Schluck Wasser …«
    Und wieder das grausame Röcheln.
    »Der Husten … ach ja. Er ist wie Regen oder Wolken … kommt und geht …«
    Sie fühlte sein Zittern. Schwarzes Tuch, Schnallenschuhe, ein weißer Kragen – doch alles ziemlich verschmutzt. Und dieses magere, flehende Gesicht mit den dunklen Augen.
    »Mein Name ist …«
    Sie verstand nicht.
    »Ich bin …«
    »Ist schon gut, ist schon gut.«
    Sie wußte ja, was er war: Ein Magister, ein Gelehrter des Rechts. Ob kirchlich oder weltlich, ob von der Pariser Sorbonne oder sonst wo her, was spielte es für eine Rolle? Was scherte es sie?
    Doch was tat er hier?
    »Ich wollte nur ein wenig Wasser …«
    »Ja«, sagte sie entschlossen, »aber mit oder ohne Wasser, in dem Zustand kommt Ihr keinen Schritt weiter.«
    Jeanette Mellier war jung, gerade zwanzig, und wie alle Bretonen besaß sie einen entschlossenen und untrüglichen Sinn fürs Praktische.
    »Kommt! Ich führe Sie.«
    Und so betrat Alain Chartier, ehemaliger Sekretär des Königs und Freund des mächtigen Bischofs von Reims, bei beiden in Ungnade gefallen, doch noch immer einer der berühmtesten Dichter Frankreichs, ein Meister der Sprache, dessen Lieder in den Gassenschenken wie in den Salons der Bürgerhäuser und Schlösser vorgetragen wurden, das Haus einer kleinen, unbekannten Brokatstickerei am Rande von Neuilly. Die Wanderschaft, die er dem mageren, schmerzgeschüttelten Körper abgerungen hatte, war zu Ende.
    »Reiner wie Schnee ist die Haut, die mich entzückt«, schrieb er bereits drei Tage später am Steintisch hinter Jeanette Melliers Brunnen: »Sonne nistet in den Locken wie die Vöglein in den Zweigen, die Götter haben Dich auf meinen Weg geschickt, um mir das Tor des Himmels zu zeigen …«
    So was! dachte Jeanette Mellier, als er die Worte vortrug und sie, noch immer hustend, in die Arme schloß. Und meine Sommersprossen hat er einfach

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