Stadt der Liebe
Ärmel, schüttelte den Kopf und sagte zu dem Mann neben der Fackel: »Noch kennen wir nicht eure Antwort. Es hat in Frankreich schon mancher Freund die Freunde an den Galgen gebracht. Was bietet Ihr als Sicherheit?«
»Liebster Präfekt, in erster Linie sichert Euch mein Schweigen.«
Mit einem Satz war der Erkannte an den Eingang geschnellt und winkte in den dunklen Tunnel hinein. Dann kam er zurück an den Tisch und entledigte sich seiner ihn verhüllenden Kleidungsstücke, wobei er sagte: »Der Tunnel ist mit Getreuen abgeriegelt, Orléans ist mein Gefangener – wenn er die heutige Nacht zu mißbrauchen gedächte! Und diese Gefangenschaft – verzeiht mir, daß ich so ungalant bin – wäre der Tod.«
Alle demaskierten sich nun, und es stellte sich heraus, daß jeder ohnehin gewußt hatte, wer die anderen waren.
»Der Dauphin«, begann der Comte de Buron, »dieses heruntergekommene Individuum, achtet nicht des skandalösen Streiches der Dauphine. Das Bündnis zwischen Frankreich und den Schotten scheint perfekt zu sein. Was das für uns bedeutet, muß auch dem Dümmsten klar sein. Wenn Schottland sich zu Frankreich findet, ist das Bündnis mit den Spaniern gefährdet. In Spanien aber liegt das Gold, das Frankreich braucht. Mir ist ein Baske lieber als zehn Schotten. Zudem steht England noch im Kampfe gegen uns, und es ist nicht auszuschließen, daß das Bündnis Schottlands ein Winkelzug aus Londons Intrigantenschule ist. Uns liegt daran, in Frankreich das Erstehen einer zentralistischen Gewalt zu verhindern. Je mehr das Land in Herzogtümer und Adelssitze aufgeteilt ist, desto einträglicher sind die durch Steuern hereinkommenden Gelder.«
»Wie denkt Ihr Euch die Praxis?« fragte der Herzog von Orléans und fuhr, nachdem er eine Landkarte auf den Tisch gelegt hatte, fort: »Im Süden steht die Militärmacht Englands. Die Herzogtümer Gascogne und Guyenne, die Grafensitze Poitou, Périgord, Quercy, Rouergue, Bigorre sind in der Hand der Insulaner, deren Einfluß in der Bretagne über den Anjou und Berry hinaus bis zum Herzog von Auvergne reicht. Burgund und selbst die Picardie im Norden sagen sich von Karl und Ludwig los, und die Provence fühlt sich durch ihre Rhône-Grenze außerhalb des Staates. Habt Ihr die Macht, sie alle zu vereinigen, um sie dann doch einzeln zu regieren?«
Der Comte de Buron betrachtete die Karte. Sein zynisches Gesicht war angespannt, die Backenknochen traten deutlich hervor.
»Man wird«, sagte er nach einer Weile, »an England die Bretagne geben und ihnen auch die Grafschaft Flandern lassen. Zwei Küstenländer tauscht der Brite gern ein gegen einige für ihn längst nicht so wichtige Südprovinzen.«
»Flandern gehört dem Herzog von Burgund.«
»So wird man England helfen müssen, Flandern zu erobern.«
»Das heißt: ein Bruderkampf?«
»Na und?«
Der kühle, zynische de Buron zog kleine Kreise auf der Karte.
»An den Burgunder«, fuhr er fort, »grenzen nicht allein die Dauphine, sondern Bourbon, Nevers und Orléans. Wenn man Burgund in diese vier Gebiete aufteilt, einen gleichgewichtigen Block zur Normandie und Île de France bildend, wird in Frankreich kaum noch die Meinung aus Paris gelten. Wir sichern jedem Herzog, jedem Grafen seine Souveränität – ihre Sitze im Königsrat sind die Stimmen, die entscheiden. Die Mehrheit ist ausschlaggebend. Kronrat ist der Herzog von Orléans. Die Krone kann nur Beschlüsse fassen mit dem Willen aller Fürsten. Die souveräne Macht des einzelnen ist damit abgelöst von der Regierung eines ganzen Volkes. Es ist ein neues, gleichgeschaltetes Gesetz des Solon.«
Der Comte räusperte sich und schloß: »Das größte Hindernis ist der Dauphin. Was er erstrebt, ist die ungeteilte Macht für ihn, die absolute Herrschaft, die euch alle zu willenlosen Puppen macht. Seine Freundlichkeit dem Volke gegenüber ist nur Heuchelei, er übt sie lediglich zum Schein, um später als Tyrann auf dem Thron zu sitzen.«
Er verstummte und sah den Herzog an. Dieser hatte sich über die Karte gebeugt und war mit dem Finger den Erläuterungen des Comte gefolgt. Jetzt blickte er auf und nickte, während er die Karte wieder zusammenrollte.
»Nicht übel, lieber Comte. Und wie denkt Ihr Euch den Beginn?«
»Vor allem muß die Ruhe in den Grenzprovinzen gewahrt bleiben, wenn dem König und dem Dauphin in Paris Unglücke zustoßen. Es wird sich ergeben, daß der König sich auf einer Jagd zu Tode stürzt, während der Dauphin auf der Galerie des Schlosses
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