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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht hustend. Und das Gesicht war auch nicht blaß, rot war es vor Freude. Die dunklen Augen funkelten verliebt. Verliebt auch wollte er sie in seine Arme ziehen.
    »Laß das.«
    »Was soll ich lassen?«
    »Laß mich los, Herrgott!«
    »Will ich aber nicht. Ich sehe gar keinen Grund …«
    Die Hand mußte sie gegen seine magere Brust stemmen, um frei zu werden.
    »Du siehst keinen Grund? Aber ich. Hast du mir nicht versprochen, pünktlich zum Essen zu kommen?«
    »O nein …«
    »Was – o nein?«
    »Hab' ich das wieder vergessen?«
    »Wieder«, sagte sie erbittert. »Dein ewiges ›Wieder‹. Es langweilt mich. Das Huhn war ja kein gewöhnliches Huhn. Und der Wein, den ich holte, auch nicht. Ich hab' mir freigenommen. Ich wollte mit dir feiern …«
    »Feiern? Wirklich? – Was denn?«
    Er sah sie an mit weit aufgerissenen Augen und mit dem gleichen, töricht erschrockenen Blick, mit dem sie Paul, ihr kleinster Bruder immer ansah, wenn er etwas ausgefressen hatte. Was ließ sich gegen solche Augen, gegen so viel kindliche Dümmlichkeit, gegen so viel Ignoranz schon tun?
    »Jeanette!«
    »Nein …«
    »Bitte, bitte, Jeanette … Es tut mir ja so leid. Wirklich. Aber ich war im Bois de Boulogne. Auf einer Bank. Und da …«
    Er wurde plötzlich stumm.
    »Also was?«
    »Und auf der Bank bin ich eingeschlafen. Aber ich habe dir auch etwas mitgebracht.«
    Er griff in seinen Mantel und holte ein zerknülltes Stück Papier hervor. »Ich hatte nämlich einen schrecklichen Traum. Den üblichen Alptraum … Aber dann, ganz plötzlich, war das alles vorbei, und es wurde mir so wohl. Und ich war richtig, richtig glücklich.«
    »Glücklich? – Na, wunderbar.«
    »Ja. Und als ich erwachte, schrieb ich ein Gedicht. Ein kleines Sonett. Für dich – nein, an dich. Es soll ausdrücken, was ich empfinde, wenn …«
    »Ich will kein Sonett. Ich will keine Worte.«
    »Dann will ich auch nicht dein Huhn.«
    »Das ist ohnehin schon kalt. Und der Wein, der ist sicher warm.«
    »Na und?« sagte er, blickte sie an mit diesem Blick, dem sie nie widerstehen konnte. Und lachte noch dazu. Fühlte sich ganz offensichtlich wohl. Traum oder Wirklichkeit, was machte das schon, Hauptsache, er fühlte sich wohl.
    So war er herangetänzelt, so sah er jetzt aus. Und dann …
    Dann dachte Jeanette nicht weiter. Auch ihr Zorn erlosch.
    Etwas Unglaubliches war geschehen.
    Alain, der Dichter, Alain, der Kranke, Alain, der Träumer, Alain, diese Monstrosität hatte sie plötzlich von der Gartenpforte gerissen und hochgehoben. – Ja, sie schwebte, sein linker Arm war unter ihrem Knie, der rechte unter ihren Schultern. Alain trug sie.
    Jeanette schloß die Augen. Sie konnte es nicht fassen. Woher nahm er diese Kraft? Nie hatte er sie hochgehoben, nicht einmal versucht hatte er das. Und wie auch?
    »Laß mich! Du spinnst ja, Alain Chartier!«
    »Und ob …«
    Ja – und ob.
    Er trug sie tatsächlich zwischen den Rosen hinauf zur Haustür, stieß sie mit dem Knie auf. Und da war die Stube, dort das Huhn.
    Alain aber hustete nicht, und er brach auch nicht zusammen. Er stellte sie auch nicht zu Boden. Und er hatte noch immer dasselbe verliebte Lächeln, in dem irgend etwas Überirdisches zu strahlen schien. Ja, Überirdisch! Das mußte es ja sein. Nicht einmal seine Arme zitterten.
    »Weißt du, das war ein sehr guter Traum. Von einem Falter. Und ich finde, deshalb solltest du das Gedicht schon lesen.«
    Sie schüttelte den Kopf. Wenn sich dieser Kopf etwas vorgenommen hatte oder etwas ablehnte, war nichts zu machen.
    Alain wußte das nur zu gut.
    »Na gut«, sagte er, »dann ohne Essen«, und trug sie hinüber ins Schlafzimmer …

IV
    Dunkle Nacht hüllte das kleine Bauernhaus am Rande von Neuilly ein, und die verzweifelte Jeanette rang ihre schmalen Hände und kniete zum hundertsten Male vor dem verschwommenen Marienbild im Winkel der nur schwach erhellten Stube nieder. Die kleine Ampel mit dem nie erlöschenden Kerzenlicht schwankte in einem leisen Luftzug hin und her. Gewachstes, rotes Überzugspapier färbte den Schein, der auf das so milde lächelnde Gesicht der Gottesmutter fiel. Im Hintergrund, auf einem breiten Bauernbett in mitten stark zerwühlter und mit Blut bespritzter Decken lag mit eingefallenen Wangen, blaß und totenähnlich, regungslos und kaum noch atmend Alain Chartier, der Dichter.
    Ein neuer Anfall seines Leidens hatte ihn aufs Krankenlager geworfen. Aus dem zitternden offenen Mund quoll ihm das Blut, ständiger Husten förderte immer

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